Es gibt Menschen, die eine Sache schon beim kleinsten Mangel ablehnen. Mit solch einer Haltung zeigt man nur, dass man nichts verstanden hat. Wolfgang Schmidbauer weiß: „Die Reparatur ist ein unterschätzter Teil der Lebenskunst. Diese Einsicht ist vor allem in japanischen Traditionen verankert.“ Dafür stehen zwei Begriffe: „Wabi“ und „Sabi“. Ursprünglich bedeutete Wabi Armut und Rückzug in die Einsamkeit und ein bescheidenes Leben in der Natur. Sabi war gleichbedeutend mit verwelkt und gealtert. Die Begriffe wurden aber schon seit dem 14. Jahrhundert positiv besetzt. Gegen die laute, prunkvolle, perfektionistische Ästhetik einer dominanten Kultur wurden Wabi und Sabi zur Suche nach Schönheit an überraschender Stelle. Gefunden wird sie beispielsweise im Löwenzahn in einer Pflasterfuge oder in einer Flechte auf einem Felsen. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer ist Autor zahlreicher Fach- und Sachbücher, die sich millionenfach verkauften.
Die Kunst der Reparatur ist in Japan nahezu vollkommen
In einer Auseinandersetzung mit dem höfischen Prunk der Shogun behauptete sich eine Ästhetik der Unvollkommenheit, des Einfachen. Heute werden beide Begriffe, Wabi und Sabi, wie einer verwendet. Sie feiern beispielsweise die Schönheit des Mondes gegenüber dem Strahlen der Sonne, die der knorrigen Kiefer gegen den blühenden Kirschbaum. Schön sind ebenso die Rostspuren am Wasserkessel aus gegossenem Eisen oder die verlaufende, erdfarbene Glasur der getöpferten Schale.
Wabi meint eher die bewusste Unvollkommenheit in der Produktion, Sabi die Gebrauchsspuren. Eine der Bedeutungen von Sabi ist „Rost“. Der Europäer greift zur Drahtbürste und zum Rostumwandler. Der von Sabi inspirierte Japaner lässt den Rost, wo er keinen Schaden anrichtet, und nennt ihn womöglich auch noch die „Blume der Zeit“. Die Kunst der Reparatur ist in Japan zu einer in keiner anderen Kultur auffindbaren Vollkommenheit gediehen.
Eine Reparatur macht ein Ding menschlicher
Man muss nicht unbedingt nach Japan reisen, um dieser bedeutungsvollen Geste zu begegnen. Nämlich etwas wieder in einen gebrauchsfähigen Zustand zurückversetzen und aus dem durchlittenen und überwundenen Defekt wieder Stolz und Sicherheit zu gewinnen. Wer sich für altes Gerät interessiert, wird Reparaturen begegnen, die so sorgfältig ausgeführt sind, dass sie den Gebrauchswert des Ganzen nicht gefährden. Sie machen ein Ding menschlicher.
Selbst eines, das aus Maschinen geboren wurde, trägt nun die Spuren von Handarbeit. Wolfgang Schmidbauer freut sich: „Mit ihrer Hilfe hat es dem Schicksal getrotzt, das alles Vergängliche irgendwann ereilt.“ Wer eine gekonnte Reparatur betrachtet, kommt dem „stirb und werde“ näher. Es bereitet einen Menschen darauf vor, dass im Leben nie alles glattgeht und man sich doch immer wieder freuen darf, wenn man ein Hindernis überwunden hat. Allerdings scheint es gegenwärtig vielen Menschen schwerer zu fallen, mit Unvollkommenheiten zu leben. Quelle: „Die Kunst der Reparatur“ von Wolfgang Schmidbauer
Von Hans Klumbies