Michel de Montaigne hält es für einen guten Ratschlag, lieber das Gute, das die Gegenwart einem Menschen bietet, zu ergreifen und sich damit zufrieden zu geben, anstatt immer hinter dem herzulaufen, was in der Zukunft kommen soll. Denn in die Zeit, die kommen wird, kann der Mensch doch nicht ergreifen, sogar noch viel weniger als die Vergangenheit. Michel de Montaigne schreibt: „Unglücklich ist, wer sich um die Zukunft sorgt.“ Seiner Meinung ist es ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Natur selbst den Menschen einen gangbaren Weg zeigt, um sie für die Weiterführung ihres Werkes einzuspannen. Sie erzeugt dieses Trugbild, da ihr mehr am menschlichen Handeln als an der richtigen Erkenntnis liegt.
Platon sagt: „Tu das Deine und erkenne Dich selbst.“
Laut Michel de Montaigne schweben viele Menschen immer irgendwie über der Wirklichkeit. Befürchtungen, Hoffnungen und Wünschen tragen sie fort in die Zukunft. Sie bringen sie aber dadurch um die Möglichkeit, das, was jetzt ist, zu fühlen und zu beachten. Er schreibt: „Statt dessen gaukeln sie uns Dinge vor, die einmal kommen sollen, vielleicht erst dann, wenn wir gar nicht mehr existieren.“ Er zitiert eine der wichtigsten Lebensregeln, die Platon aufgestellt hat: „Tu das Deine und erkenne Dich selbst.“ Das heißt, wenn jemand in die Lage kommt, das seine zu tun, wird er merken, dass er sich zunächst darüber klar werden muss, was er ist und welche Fähigkeiten er besitzt.
Wer diese Selbsterkenntnis besitzt wird sich mit seinem Ich beschäftigen und die Kultivierung desselben vorantreiben und nicht mehr das Fremde für das Seine halten. Er wird das Überflüssige meiden und das Unnütze nicht mehr denken oder planen. Schon bei Epikur blickte der Weise nicht in die Zukunft und sorgte sich nicht um sie. Dennoch ist für Michel de Montaigne der Mensch ein wunderbar ungreifbares, verschiedenartiges und schwankendes Wesen. Er schreibt: „Es ist schwierig, etwas dauernd und allgemein Gültiges über ihn auszusagen.“
Michel de Montaigne wendet die Methode der Selbstbeobachtung an
Michel de Montaigne stellt sich immer die Frage, was am Menschen das Menschliche ist und wie die Menschen wirklich sind. Eine umfassende Antwort ist schwer zu geben, da kein Mensch dem anderen gleicht, noch mehr geistig als körperlich. Er stellt fest: „Diese Unähnlichkeit ist ihr allgemeinstes Charakteristikum.“ Die Menschen sind seiner Meinung nach vor allem deshalb verschieden, weil sie in Abhängigkeiten leben. Sie sind beispielsweise abhängig von den Zeitumständen, den Erbanlage, der Religion, den Sitten und der Politik.
Außerdem sind die Menschen für Michel de Montaigne in sich widerspruchsvoll und sehr oft anders als sie scheinen. Um die Mitmenschen besser zu verstehen, greift er zur Methode der Selbstbeobachtung. Dadurch erkennt er sich als Mensch in seiner ganzen Unvollkommenheit und versucht die beobachteten Einzeltatsachen für sich sprechen zu lassen. So dringt er zu den uneinheitlichen, einzelnen Zügen des gewöhnlichen Menschen vor. Er verliert dabei allerdings nie sein Ziel aus den Augen, den Menschen so zu zeigen, wie er immer ist.
Von Hans Klumbies