Die Novellen von Heinrich von Kleist sind dramatische Meisterwerke

Heinrich von Kleist (1777 – 1811) blieb wie Jean Paul auch ein Außenseiter im literarischen Leben seiner Zeit. Von der Familie für die Offizierslaufbahn auserkoren, entzog sich der sensible, musisch und literarisch interessierte Heinrich von Kleist schon sehr bald dem soldatischen Leben. Unterstützt vor allem von seiner Schwester Ulrike führt er ein ruheloses, von Selbstzweifeln zerrissenes Wanderleben, das er 1811 durch Selbstmord beendete, weil ihm, wie er in seinem Abschiedsbrief an die Schwester schrieb, „auf Erden nicht zu helfen war.“ Mit in den Tod nahm er die sich ihm freiwillig anschließende, schwer kranke Henriette Vogel. Der gemeinsame Tod erregte großes öffentliches Aufsehen und warf ein grelles Licht auf die schwierigen Existenzbedingungen von Schriftstellern jenseits der etablierten Lager. Die Stärke Heinrich von Kleists liegt vor allem auf dramatischem Gebiet.

Die Aufführung des „Zerbrochenen Krugs“ wird zu einem eklatanten Misserfolg

Auch seine Novellen sind dramatische Meisterwerke. Heinrich von Kleists erstes Stück „Die Familie Schroffenstein (1803), mit dem er an die Dramatik der Epoche des „Sturm und Drang“ anknüpft, weist bereits jenen eigenen, unverwechselbaren Ton auf, der die Zeitgenossen schockierte. Von seinen acht Dramen wurden nur zwei zu seinen Lebzeiten aufgeführt. Die Aufführung des „Zerbrochenen Krugs“ (1805/06) wurde 1808 in Johann Wolfgang von Goethes Inszenierung am Weimarer Hoftheater zu einem eklatanten Misserfolg, an dem Heinrich von Kleist schwer trug.

Die Gründe für die mangelnde Anerkennung sind vielschichtig: Neben den beschränkten Möglichkeiten der damaligen Aufführungspraxis spielten vor allem die ungewöhnliche Thematik und die exzentrische Durchführung ein Rolle. In seiner „Penthesilea“ (1807), 1876 erstmals aufgeführt, gestaltete Heinrich von Kleist die in mythischer Vorzeit spielende Beziehung zwischen der Amazone Penthesilea und dem griechischen König Achill und arbeitet die psychopatischen Strukturen in diesem Verhältnis mit großem psychologischem Feingefühl aus.

Das Frauenbild des „Käthchens von Heilbronn“ entsprach dem der damaligen Zeit

Dabei entfaltete er eine Phantastik in Handlung und Durchführung, welche die dramaturgischen Möglichkeiten der damaligen Zeit und die Aufnahmebereitschaft des Publikums bei weitem überschritt. Ein Gegenstück zur Penthesilea schuf Heinrich von Kleist im „Käthchen von Heilbronn“ (1807). Er selbst nannte Käthchen „die Kehrseite der Amazonenkönigin, ihren anderen Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch Hingebung, als jene durch Handeln“. Im Gegensatz zur Penthesilea entsprach das mit Käthchen gestaltete Frauenbild dem damaligen gesellschaftlichen Konsens.

Und auch die märchenhafte, romantische Durchführung der Handlung des „Käthchens von Heilbronn“ konnte auf wohlmeinendes Verständnis des Publikums rechnen. So ist es kein Zufall, dass das „Käthchen“ neben dem Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ das einzige Stück ist, das zu Lebzeiten Heinrich von Kleists aufgeführt wurde. „Prinz Friedrich von Homburg“ (1809 – 1811) wurde dagegen von keiner Bühne seiner Zeit angenommen. Ein politisches Drama lieferte Heinrich von Kleist mit seiner „Hermannsschlacht“ (1808), mit der er am Beispiel des Kampfes der Germanen gegen die Römer seine Zeitgenossen zum Aufstand gegen Napoleon aufrufen wollte.

Von Hans Klumbies