Deutschland liegt im Welthandel im Jahr 1910 mit an der Spitze

Zwischen 1870 und 1913 versechsfachte sich die industrielle Produktion in Deutschland. Vor allem das rasante Tempo der Industrialisierung rief vor allem im Ausland Staunen hervor. In den 1860er Jahren hatte der deutsche Anteil der Weltindustrieproduktion nur 4,9 Prozent betragen, während Großbritannien fast 20 Prozent erwirtschaftete. Schon im Jahr 1913 hatte Deutschland einen höheren Anteil an der Weltproduktion als Großbritannien: 14,8 zu 13,6 Prozent. Der andere große Aufsteiger dieser Jahrzehnte war die USA, die ihren Anteil bis zum Jahr 1913 auf sagenhafte 32 Prozent steigern konnten. Ulrich Herbert fügt hinzu: „Auch beim Welthandel gehörte Deutschland um 1900 mit Großbritannien und den USA zu den drei führenden Nationen.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Noch in den 1860er Jahren war Deutschland ein Agrarland

Dieser Prozess des Wachstums verlief in Deutschland zeitlich, regional und nach Wirtschaftsbranchen sehr unterschiedlich. Kennzeichnend war aber die kurze Zeitspanne, in der sich dieser weitreichende Fortschritt vollzog. Das verlieh der Entwicklung jene spektakuläre Dramatik, die schon die Zeitgenossen mächtig beeindruckte. In anderen Ländern erstreckte sich der Umschlag von der industriellen Revolution in die Hochindustrialisierung über längere Zeiträume als dies in Deutschland der Fall war.

Noch im Jahr 1867 war in Deutschland mehr die Hälfte aller Beschäftigten, 8,3 Millionen Menschen, im Agrarsektor tätig. In der Industrie, im Handwerk und im Handel hatten zu dieser Zeit 4,3 Millionen Menschen gearbeitet, was einem Anteil von 27 Prozent entsprach. Diese Wirtschaftsbereiche konzentrierten sich auf einige Zentren in den Großstädten, in Schlesien und dem Rheinland. Ulrich Herbert ergänzt: „Bis 1913 erhöhte sich die Gesamtzahl der Erwerbstätigen deutlich, auch in der Landwirtschaft, wo nun 10,7 Millionen Menschen arbeiteten – sie machten aber nur noch ein gutes Drittel der Erwerbstätigen aus.“

Die Landwirtschaft verlor ihre dominierende Stellung

Demgegenüber hatte sich die Zahl der Angestellten des sekundären Sektors im gleichen Zeitraum fast verdreifacht und lag nun bei 11,7 Millionen, was einem Anteil von 37,8 Prozent entsprach. Die Entwicklung der Wertschöpfung beschreibt die Veränderung noch deutlicher. Ulrich Herbert nennt Zahlen: „1873 hatte sie bei 16,3 Milliarden Mark gelegen, davon war ein Drittel auf Industrie, Handwerk und Bergbau entfallen. Bis zum Jahre 1900 hatte sie sich verdoppelt (33,1 Milliarden Mark), bis 1913 verdreifacht (48,4 Milliarden Mark). Der Anteil von Industrie, Handwerk und Bergbau lag mittlerweile bei 44 Prozent.

Im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft und vor allem Vergleich zum industriellen Sektor sank die Bedeutung des Agrarsektors, der nun seine einstmals dominierende Stellung in der Wirtschaft Deutschlands innerhalb kurzer Zeit verlor. Auch hier kennt Ulrich Herbert die Zahlen: „Der agrarische Anteil an der Gesamtwertschöpfung sankt von 37 Prozent (1875) auf 23 Prozent (1913), der Anteil der Beschäftigten, wie gesehen, von mehr als der Hälfte auf ein Drittel. Allerdings lebten auch nach der Jahrhundertwende noch etwa 18 Millionen Menschen von der Landwirtschaft.“

Von Hans Klumbies