Die Welt rückt enger zusammen

In den freiheitlichen Demokratien konnten die Menschen in der Corona-Krise den Eindruck gewinnen, zu viele widerstreitende Instanzen mit zu unterschiedlichen Interessen behindern einander gegenseitig. Hans-Jürgen Papier stellt fest: „Lange Zeit schien das Vorgehen der europäischen Staaten unkoordiniert und schlecht abgestimmt. Auch das bundesrepublikanische föderale System erweckte häufig den Eindruck, als sei es hauptsächlich damit beschäftigt, einen Flickenteppich aus unübersichtlichen Regelungen und jede Menge Streit und Unsicherheiten zu produzieren.“ Wie die Pandemie haben auch Klimawandel, Digitalisierung oder internationaler Terrorismus mit Prozessen zu tun, die man häufig unter dem Stichwort der Globalisierung zusammenfasst. Die Welt rückt in vieler Hinsicht enger zusammen. Die Dinge werden komplizierter, und Einflusssphären überlagern sich. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Die Unübersichtlichkeit nimmt zu

Es ist geradezu ein Signum der Gegenwart, dass in ihr die Unübersichtlichkeit wächst. Das heißt unter anderem, dass es immer schwieriger wird, einfache Antworten auf bestehende Problemlagen zu geben. Demgegenüber ist es eines der großen Vorteile demokratischer Systeme, dass es flexibel auf Neues reagieren kann. Gerade weil es inhaltlich offen und in vielen Bereichen kaum im Vorhinein auf bestimmte Ziele festgelegt ist. Am gesellschaftlichen Prozess an Erkenntniszuwachs und Anpassung an Herausforderungen kann prinzipiell jeder teilhaben.

So lassen sich einerseits viele Themen gleichzeitig bearbeiten. Andererseits kann es der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg gelingen, auf ein Thema aufmerksam zu machen und den politischen Druck auf die Regierungen der ganzen Welt zu erhöhen. Hans-Jürgen Papier erklärt: „Dennoch erreicht die zunehmende Unübersichtlichkeit mitunter beunruhigende Ausmaße und führt zu diffusen Ängsten. Bedienen die Medien die betreffenden Themen zusätzlich aufmerksamkeitsheischend, verstärken sie die damit verbundenen Gefühle in der Regel noch.“

Allein der Staat besitzt das Machtmonopol

Dann macht sich Emotionalität breit, wo Vernunft herrschen sollte. Und allzu häufig verlässt sich die Politik nicht auf die stabilisierenden Verfahren des rechtstaatlichen Systems. Sondern sie reagiert zum Beispiel mit falsch verstandenem Pragmatismus. Wie zum Beispiel „Wir schaffen das!“ der Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise. Statt das geltende Recht durchgesetzt wird, wie es die Verfassung verlangt, werden dann Entscheidungen eher nach den vermuteten Gefühlslagen der potenziellen Wählerschaft oder aufgrund von subjektiv humanitären Gesichtspunkten getroffen.

In einem Rechtstaat wie Deutschland kann man allerdings auch Humanität und Moral grundsätzlich nur mithilfe des Rechts und nicht gegen es durchsetzen. Anderenfalls entstehen Räume, in denen das Recht keine Geltung mehr hat. Und das toleriert die rechtstaatliche Ordnung nicht. Sie fordert die uneingeschränkte Herrschaft des Rechts für alle und in allen Situationen. Für die Durchsetzung ist allein der Staat mit seinem Machtmonopol zuständig. Das wiederum ist für ihn nicht nur Privileg, sondern vor allem Verpflichtung. Quelle: „Freiheit in Gefahr“ von Hans-Jürgen Papier

Von Hans Klumbies