Es gibt drei große gesellschaftliche Umbrüche

Der französische Denker Jean Baudrillard gilt als einer der Hauptverfechter der Postmoderne. Dennoch war es ausgerechnet er, der die Mythologie des Sozialkonstruktivismus angegriffen hat. Jean Baudrillard behauptet in einem Buch „Simulacres et simulation“, dass es drei große gesellschaftliche Umbrüche gebe, die in der gegenwärtigen Zeit kulminierten. Markus Gabriel kennt sie: „In der Vormoderne seien menschliche Gesellschaften durch Symbole gesteuert worden, die sich ziemlich eindeutig von der Wirklichkeit unterschieden. Eine Götterstatue aus Lehm ist ein Symbol für einen Gott, aber selbst kein Gott, wie das alttestamentarische Bilderverbot einschärft. Die monotheistische Revolution bringt die Vormoderne sozusagen auf den Punkt.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Facebook bietet selbst keine Inhalte an

Die Moderne ist für Jean Baudrillard vor allem mit der industriellen Revolution verbunden. In ihr werden erstmals Produkte in serieller Fertigung hergestellt. Diese Massenprodukte, die allesamt Kopien einer originellen Idee waren, die Erfinder patentieren konnten, sind von Originalen ununterscheidbar. Die moderne Gesellschaft baut Jean Baudrillard zufolge auf Kopiervorgängen zur Herstellung von Massenwaren auf. Die Postmoderne sei im Vergleich zur Vormoderne total entleert, weil ihre Warenproduktion sich von jeglicher Wirklichkeitskopie entfernt habe.

Für eine solche Diagnose spreche der digitale Warenmarkt. Postmoderne Symbolsysteme beziehen sich Jean Baudrillard zufolge auf keine externe Wirklichkeit mehr. Sie genügen sich selber und erzeugen dadurch soziale Ordnungen. Markus Gabriel nennt dies Baudrillards Simulationsthese: „Sie besagt, dass die Globalisierung ein Vorgang ist, der durch entleerte Zeichensysteme vorangetrieben wird, die sich selber herstellen. Plattformen wie Facebook oder Instagram illustrieren diese Idee. Sie bieten lediglich an, dass man Inhalte auf ihnen teilt, und erzeugen auf dieser Grundlage einen Mehrwert, ohne selber Inhalte anzubieten.“

Kunden werden zu Angestellten der sozialen Netzwerke

Bilder und Mitteilungen, die man postet, haben Rückwirkungen auf die nicht mediale Wirklichkeit. Und zwar einfach dadurch, dass sie im Zusammenhang der Symbolsysteme sozialer Netzwerke auftauchen. Aber die digitale Warenproduktion greift scheinbar nicht mehr direkt in die nicht mediale Wirklichkeit ein, sondern nur noch durch Vermittlung der Kunden. Diese werden sozusagen zu Angestellten der sozialen Netzwerke, ohne es zu merken.

Martin Heidegger hat für diese symbolische Lebensform den passenden Ausdruck geprägt, dass die Menschen zu „Angestellten des Bestellens“ würden. Jean Baudrillard schreibt: „Heutzutage ist die Abstraktion nicht mehr die der Karte, des Doppels, des Spiegels oder des Begriffs. Die Simulation ist nicht mehr die eines Gebiets, eines referentiellen Seins, einer Substanz. Sie ist die Entstehung durch die Modelle eines Wirklichen, das weder Ursprung noch Wirklichkeit hat: hyperreal. Das Gebiet geht der Karte nicht mehr voran und überlebt sie auch nicht.“ Quelle: „Der Sinn des Denkens“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies