Die Neue Rechte fordert die Altparteien heraus

Die Neue Rechte zieht Profit aus den Kalamitäten und Disparitäten, die jetzt die Gesellschaft kopfscheu machen. Roger de Weck erläutert: „Die Angstgesellschaft ist ihr Revier, von der Verunsicherung lebt sie. Sie nutzt und beschleunigt die Erosion der Glaubwürdigkeit traditioneller Parteien, die der Ultrakapitalismus zusehends überfordert.“ Ein Teil der Konzernwelt hat den Staat zur Flickbude degradiert, und die Regression der Politik zur Flickschusterei lädiert die Politiker. Umso leichter schleusen reaktionäre Parteien den Groll ihrer Klientele nur in die eine Richtung. Versagt haben einzig die Politik, die Demokratie, die Europäische Union – nie und nimmer das Wirtschaftssystem. Das Problem des Prekariats, das die Neue Rechte besonders umwirbt, sind nie Amazon und andere ausbeuterische Arbeitgeber, sondern die „Altparteien“. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Reaktionäre erheben das Gestern zum Maßstab

Unüberhörbar beschweigen Reaktionäre die Fehlentwicklungen des Kapitalismus. Sie verschwenden wenig Gedankenarbeit auf eine Wirtschaftspolitik, die ihren Wählern nachhaltig helfen würde. Die neurechten Programme in einem Wort: weniger Steuern, mehr Ausgaben und das Fernhalten ausländischer Arbeitskräfte. Das ist das „ökonomische“ und „ökologische“ Rezept. Die Neue Rechte hat nicht den Hauch eines Ansatzes, wie sich der Ultrakapitalismus etwas gleichgewichtiger gestalten ließe. Reaktionäre, die das Gestern zum Maßstab erheben, entwickeln keine Wirtschaftsmodelle für morgen und übermorgen.

Roger de Weck stellt fest: „Auf ein ernsthaftes Nachdenken über die krisenhafte Ökonomie, die laufend die Arbeit entwertet, verzichten sie. Keine neurechte Partei will wahrhaben, dass in der Arbeitsgesellschaft die Arbeit am meisten Identität stiftet.“ Sie spendet weit mehr Identität als die Nation, weit mehr Zusammenhalt als das abgenutzte „Wir und die anderen“ der Fremdenfeinde. Trotzdem sucht die Neue Rechte nicht nach Alternativen zur unsozialen Marktwirtschaft. Auch die Alternative für Deutschland (AfD) hat keine.

Reaktionäre umsorgen die Oberschicht

Die vom Dreierpack „Strukturwandel – Globalisierung – Digitalisierung“ beschwerten Menschen pflegen Politiker zu wählen, die ihnen wenig bringen. Und wo der Neuen Rechten jedes Konzept für Reformen fehlt, flüchtet sich ausgerechnet diese Schar von Moralhassern in Moralpredigten. Sie leiert, die Politik sei verdorben, verfilzt, korrupt und faul. Reaktionäre beschuldigen die „Elite“ der Verworfenheit, nicht der Ausbeutung. Sie wettern gegen „die da oben“ – und umsorgen die Oberschicht.

Denn in Wahrheit imponiert ihnen eine Wirtschaftsordnung, die Starke stärkt. Und so ehren sie die wahre Macht, sie beschenken generös das Establishment. Die AfD möchte zum Beispiel die Erbschaftssteuer ersatzlos streichen. Matteo Salvini wollte Italien in eine Steueroase für vermögende Ausländer und italienische Rückkehrer verwandeln. Der Milliardär Christoph Blocher und seine Schweizerische Volkspartei werden nicht müde zu betonen, dass es den Reichen gut gehen müsse, damit es allen gut gehe. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies