Veränderungen erzeugen zunächst Unbehagen

Jede Form der Veränderung geht zunächst mit einem Unbehagen einher. Emanuele Coccia kritisiert: „Wir haben Bewegung und Wandel zu Fetischen gemacht. Dabei ist alles so angelegt, Bewegung unmöglich zu machen.“ Viele Menschen streben danach, sich fortzubewegen und ihre Stellung in der Gesellschaft zu verändern. Manche möchten auch an einen anderen Wohnort ziehen, von einem Zustand in einen anderen wechseln. Doch all diese Veränderungen sind eine Illusion. Man verschiebe das Leben nur in ein neues Dekor. Die Globalisierung verspricht eine sagenhafte Mobilität in der Geschichte der Menschheit. Fieberhaft wechseln viele Menschen die Orte, sind und bleiben aber alle, wer sie waren. Die Reichen bleiben reich, die Armen haben nicht mehr Chancen am Ziel als am Start. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

Die Identität bleibt nicht unberührt

Der Westler bleibt ein Westler, egal wo er ist, ein Afrikaner ist und bleibt im Westen exkludiert und gestraft. Emanuele Coccia stellt fest: „Wir posaunen unsere unverbrüchliche Liebe zum Wandel in die Welt, deren Fortschritt und Verbesserung hinaus, haben aber Angst vor echter Veränderung.“ Viele Menschen preisen den Austausch der alten Gegenstände um sie herum gegen neue. Sie hoffen aber im Geheimen, dass ihre Identität davon unberührt bleibt.

Sie haben einen Horror davor, etwas zu verlieren, woran sie hängen. Die Menschheit hat die Welt bis ins Mark verändert, und doch lässt diese Veränderung vielen Menschen erstarren. Emanuele Coccia erklärt: „Wir weigern uns, das alles mit einer Veränderung unser selbst zu begleiten. Mal für Mal ist der Wandel nur simuliert. Mal für Mal gerät die Bewegung ins Stocken.“ Irgendetwas hält einen zurück, irgendetwas entfernt uns von der Metamorphose. Man ist gewohnt, Wandel und Veränderung in zwei Modellen zu denken: Konversion und Revolution.

Eine Konversion bezeugt die Allmacht des Subjekts

Eine Metamorphose ist jedoch weder das eine noch das andere. Bei der Konversion verändert sich ausschließlich das Subjekt: Seine Ansichten, Haltungen, Wesensart ändern sich. Dagegen bliebt die Welt gleich und muss es bleiben. Nur eine Welt, die von der Konversion unberührt geblieben ist, kann die Wandlung des Konvertierten bezeugen. Eine Konversion ist oftmals die Folgerung eines innerlich beschrittenen Weges. Dieser ist gesäumt von Prüfungen und Offenbarungen, ausgedehnten Abstinenz- und Askeseübungen.

Emanuele Coccia weiß: „Diese Wandlung setzt die absolute, vollkommene Beherrschung des Selbst voraus. Nichts ist weiter entfernt von der Metamorphose als die Konversion.“ Eine Konversion schmeichelt, offenbart und bezeugt die Allmacht des Subjekts. Der Konvertit wird allen Freuden sagen müssen, dass er nicht mehr die Person ist, die sie gekannt haben. Er wird seine Erinnerungen samt und sonders verbannen, sein Leben verdrängen oder einen Teil von sich ausradieren müssen. Quelle: „Metamorphosen“ von Emanuele Coccia

Von Hans Klumbies