Der Liberalismus muss sich reflexiv regenerieren

Im Zeitalter der Philosophen, der Aufklärung, geboren, hält der neuzeitliche Liberalismus ein weiteres Element für unverzichtbar. Zum Erfahrungsbezug, zu dem legitimatorischen Individualismus und dem freien Spiel der Kräfte innerhalb von Verfassung und Recht tritt eine handlungsrelevante Selbstkritik, sichtbar im Willen, sich angesichts neuer Herausforderungen zu verändern. Otfried Höffe stellt klar: „Ohne dieses Element, eine reflexive Regeneration ist der Liberalismus nicht zukunftsfähig; vor allem verdient er ohne es nicht, als aufgeklärt zu gelten.“ So hat sich der in Europa dominante Liberalismus längst um politische Mitwirkungsrechte und um freiheits- und demokratiefunktionale Sozialrechte erweitert. Otfried Höffe fordert die Grundelemente des Liberalismus in einer interkulturell verständlichen Sprache zu legitimieren. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Die Älteren bereichern sich auf Kosten der Jüngeren

Für Otfried Höffe steht fest, dass sich der Wirtschaftsliberalismus um einen ökologischen Liberalismus erweitern und wo nötig, von ihm korrigieren lassen muss. Hinzu kommt die „neue soziale Frage“. Sie fordert die Gesellschaften auf, die Verantwortung für die künftigen Generationen nicht länger zu verdrängen. Ihnen gegenüber sind die Errungenschaften der Zivilisation und Kultur zu bewahren und, wie schon in der Vergangenheit geschehen, um neue Errungenschaften zu erweitern. Ob ein Gemeinwesen dieser Aufgabe gerecht wird, zeigt sich zum Beispiel am Verhältnis von konsumtiven zu investiven Staatsausgaben.

Otfried Höffe klagt an: „Die Älteren bereichern sich auf Kosten der Jüngeren. Diese Bereicherung reicht in eine Vergangenheit zurück, die durch eine nicht etwa wegen Investitionen gewachsene Staatsverschuldung den Spielraum für öffentliche Investitionen sträflich eingeschränkt hat.“ Der klassische Liberalismus verlässt sich auf eine klare Arbeitsteilung. Aus Angst, die Bürger moralisch zu überfordern, sorgt er für gerechte Gesetze und Institutionen. So können die Bürger ohne Gerechtigkeit auskommen und ihren bloßen Interessen folgen.

Eine der ältesten Erfindungen ist der Markt

Diese Arbeitsteilung – Rechtsstaat statt Moral – übersieht, dass die Bürger die Institutionen zunächst erschaffen und sodann mit Leben erfüllen müssen. Otfried Höffe betont: „Denn nur freie Personen bringen eine freie Gesellschaft hervor und erhalten sie.“ Zusätzlich zu gerechten Institutionen braucht es Bürgergesellschaft mit Bürgertugenden. Einem aufgeklärten Liberalismus stellen ich also einige Herausforderungen. Dazu zählen die Notwendigkeit interkultureller Diskurse, die neue soziale Frage, ein Desiderat an Bürgertugenden und die vielfältige Globalisierung.

Die Menschheit kennt mehr als bloß eine Ordnungsform visionärer Kraft, die sich dem Prinzip Freiheit verpflichtet. Zusätzlich zur dreidimensionalen Kultivierung, also den visionären Kräften von Technik, Medizin und Erziehung, gibt es eine konstitutionelle Demokratie. In ihr wird die politisch notwendige Herrschaft von den Betroffenen selbst ausgeübt. Sie sind dabei an Freiheitsrechte, an negative und positive Freiheiten, gebunden. Eine der ältesten gesellschaftlichen Erfindungen ist der Markt. Er erlaubt den Menschen, das für sie notwendige Arbeiten und Wirtschaften sowie jede Form von Wettstreit und Konkurrenz, ohne Einschränkung seitens Dritter, vorzunehmen. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies