Wachstum ist kein Allheilmittel mehr

In der Gegenwart ist ungebremstes Wachstum kein Allheilmittel mehr. Das Jahr 2020 sollte entscheidend in der Klimapolitik werden. Die 26. UN-Klimakonferenz (COP26) sollte nur wenige Tage nach der US-Wahl im November 2020 in Glasgow tagen. Adam Tooze stellt fest: „Sie sollte den fünften Jahrestag des Pariser Klimaabkommens markieren. Sollte Trump gewinnen, was zu Beginn des Jahres durchaus möglich schien, würde die Zukunft des Planeten auf dem Spiel stehen.“ Das allgegenwärtige Gefühl von Risiko und Angst, das die Weltwirtschaft umgab, bedeutete eine bemerkenswerte Umkehrung. Noch vor nicht allzu langer Zeit erschien die Stellung der kapitalistischen Wirtschaft als erobernden Triebkraft der modernen Geschichte unangreifbar. Denn der Westen hatte im Kalten Krieg triumphiert und der Aufstieg der Finanzmärkte schien unaufhaltsam. Adam Tooze lehrt an der Columbia University und zählt zu den führenden Wirtschaftshistorikern der Gegenwart.

Krisen erschüttern das Vertrauen in die Marktwirtschaft

In den 1990er Jahren war die Antwort auf die meisten politischen Fragen scheinbar einfach gewesen: „It`s the economy, stupid!“ Da das Wirtschaftswachstum das Leben von Milliarden von Menschen veränderte, gab es, wie Margaret Thatcher zu sagen pflegte, „keine Alternative“. Das heißt, es gab keine Alternative zu einer Ordnung, die auf Privatisierung, dezenter Regulierung und der Freiheit des Kapital- und Warenverkehrs basierte. Noch im Jahr 2005 konnte Großbritanniens Premierminister Tony Blair erklären, über die Globalisierung zu streiten sei genauso sinnvoll wie darüber, ob auf den Sommer der Herbst folgen sollte.

Adam Tooze betont: „Im Jahr 2020 standen sowohl die Globalisierung als auch die Jahreszeiten dezidiert in Frage. Die Wirtschaft war nun nicht mehr die Antwort, sondern die Frage.“ Die offensichtliche Antwort auf „It`s the economy, stupid!“, „Which economy?“ oder sogar „What`s the economy?“ Eine Reihe tiefgreifender Krisen hatte das Vertrauen in die Marktwirtschaft erschüttert. All diese Krisen wurden überwunden, allerdings mittels Staatsausgaben und Interventionen der Zentralbanken.

Der Reichtum der globalen Elite wuchs weiter an

Diese Maßnahmen stellten fest verankerte Grundsätze über „small government“ und „unabhängige“ Zentralbanken auf den Kopf. Und wer profitierte davon? Während die Gewinne in private Taschen flossen, sozialisierte man die Verluste. Die Krisen waren durch Spekulation ausgelöst worden. Das Ausmaß der Interventionen, die notwendig waren, um sie zu stabilisieren, war historisch. Dennoch wuchs der Reichtum der globalen Elite weiter an.

Wen konnte es überraschen, so die mittlerweile gängige Frage, wenn die wachsende Ungleichheit zu populistischen Unruhen führte? Viele Brexiteers und Trump-Wähler wollten einfach nur „ihre“ nationale Volkswirtschaft zurückhaben. Unterdessen raubte Chinas spektakulärer Aufstieg der Wirtschaft in einem anderen Sinne ihre Unschuld. Es war nicht mehr klar, dass die großen Götter des Wachstums auf der Seite des Westens standen. Bald würde Amerika nicht mehr die Nummer eins sein. Quelle: „Welt im Lockdown“ von Adam Tooze

Von Hans Klumbies