Der Erste Weltkrieg stoppte eine frühe Globalisierung

Es gibt keine florierende Wirtschaft ohne starke Institutionen. Und es gibt keine wachsende Globalisierung ohne eine maßvolle internationale Politik, die sie zu schützen bereit ist. Diese bittere Lektion hat die Welt am eigenen Leib gelernt. Der Glaube, dass Wissen, Technologie und Profite unaufhaltsamen Fortschritt garantierten, beflügelte die politischen Eliten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Er platzte mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Nadav Eyal ergänzt: „Diese frühe Globalisierung zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg wird als „Belle Époque“, „schöne Epoche“ bezeichnet.“ Es war eine beeindruckende Blütezeit. Die Welt erlebte eine der größten Migrationswellen zu Friedenszeiten, vor allem Richtung Nordamerika. Italiener, Iren, Juden, Holländer, Deutsche, Tschechen, Engländer, Schotten, Polen verließen den alten Kontinent auf der Suche nach einer neuen Zukunft. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

Die Belle Époque war eine außergewöhnliche Ära

Gewaltige wissenschaftliche und technische Entwicklungen hielten Einzug. Dazu zählten die Entdeckung der Radioaktivität, Fortschritte in der Bakteriologie, die Produktion von Kraftfahrzeugen, die Einführung von Telefon und elektrischer Beleuchtung und die Erfindung des Films. Das sind nur einige der Veränderungen, die seinerzeit die Welt bewegten. Häufig wird die Belle Époque als kulturelle Blütezeit charakterisiert. Und tatsächlich bleibt sie ein Sehnsuchtsort für Kunstliebhaber.

Die Ära ist geprägt vom Impressionismus, Post-Impressionismus, Kubismus und Expressionismus in der Kunst, Realismus in der Literatur, von Thomas Mann bis Marcel Proust. Sie alle waren bezeichnend für eine zweifellos außergewöhnliche Epoche. Doch manche behaupten, die gegenwärtige Globalisierung sei nur eine Wiederholung dieser früheren Epoche und verweisen auf einen zentralen Punkt: den Anteil des Welthandels an der Wirtschaftsleistung führender Staaten. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges erreichte der Wert der Exportgüter weltweit circa 14 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, eine Marke, die erst in den 1980er Jahren wieder erreicht wurde.

Die Welt ist frei wie noch nie

Der Erste Weltkrieg verschlang das alles. Nach dem Gemetzel 1914 bis 1918 kamen die stürmischen Zwanziger- und Dreißiger-Jahre und ein neuer Weltkrieg, gefolgt von einer in zwei Blöcke geteilten Welt, umgeben von Mauern, Stacheldraht und Zöllen. Nach dem Fall der Berliner Mauer und des Ostblocks nahmen die internationalen Handelsbeziehungen außerordentlichen Aufschwung. Und die aktuelle Globalisierung hat alle Rekorde der Belle Époque gebrochen.

Eine Welt von Mauern und Barrieren machte ein viel freieren Welt Platz, wie man sie in den letzten hundert Jahren nicht gesehen hatte – und eigentlich noch nie. Und noch etwas geschah: Die weltumspannenden Verbindungen wurden nicht nur beschleunigt und erweitert, sondern auch erheblich vertieft. Die Verbindungen zwischen Zivilisationen und Individuen sind nicht mehr nur „internationale Beziehungen“ oder „Weltwirtschaft“. Immer öfter entscheiden sich Menschen, fern von ihrem Geburts- oder Heimatort zu leben. Quelle: „Revolte“ von Nadav Eyal

Von Hans Klumbies

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