Das Leben begann vor vier Milliarden Jahren

Das Universum der Lebewesen war nie einfach, ganz im Gegenteil. Antonio Damasio weiß: „Es war komplex, und das seit seinen Anfängen vor vier Milliarden Jahren. Das Lebendige kam ohne Worte oder Gedanken voran, ohne Gefühle und Überlegungen, ohne Geist oder Bewusstsein.“ Und doch spürten die lebenden Organismen andere, die ihnen glichen, und sie spürten ihre Umgebung. Mit „spüren“ meint Antonio Damasio die Wahrnehmung einer „Gegenwart“. Nämlich eines anderen ganzen Lebewesens, eines Moleküls, das auf der Oberfläche eines anderen Organismus liegt oder von einem anderen Organismus ausgeschieden wird. Spüren ist nicht das Gleiche wie Erfassen. Und es besteht nicht in der Konstruktion eines Musters von etwas anderem. Antonio Damasio ist Dornsife Professor für Neurologie, Psychologie und Philosophie und Direktor des Brain and Creativity Institute an der University of Southern California.

Selbst einfache Lebewesen reagieren intelligent

Spüren ist für Antonio Damasio die elementarste Variante der Kognition. Was noch überraschender ist: Die Lebewesen reagierten intelligent auf das, was sie spürten. Mit „intelligent“ ist gemeint, dass die Reaktion ihnen half, ihr Leben weiterzuführen. Stellte beispielsweise das, was sie spürten, ein Problem dar, war die Reaktion intelligent, wenn sie das Problem löste. Was dabei aber wichtig ist: Die Schlauheit dieser einfachen Lebewesen basierte nicht auf expliziten Kenntnissen, wie der menschliche Geist sie heute nutzt.

Sie beruhte vielmehr auf einer verborgenen Fähigkeit, die nur das Ziel verfolgte, das Leben aufrechtzuerhalten – sonst nichts. Diese nicht explizite Intelligenz war dafür zuständig, das Leben zu betreuen, es in Übereinstimmung mit den Regeln und Bestimmungen der Homöostase zu managen. Homöostase? Darunter kann man sich eine Sammlung von „Anweisungen“ vorstellen, die in Übereinstimmung mit einem gewöhnlichen Handbuch ohne Wörter oder Abbildungen erbarmungslos ausgeführt werden.

Die Homöostase blühte schon bei den frühen Einzellern auf

Die Anweisungen sorgten dafür, dass die Parameter, von denen das Leben abhing, sich im optimalen Bereich aufhielten. Zu den Parametern zählten zum Beispiel die Gegenwart von Nährstoffen oder ein bestimmtes Niveau von Temperatur oder pH. Wie Antonio Damasio sagt: „Am Anfang wurden keine Worte gesprochen und keine Worte geschrieben, nicht einmal im ausführlichen Handbuch der Lebensregeln.“ Über das Ziel des Lebens zu reden, kann ungute Gefühle hervorrufen, das weiß Antonio Damasio.

Aber aus der arglosen Perspektive jedes einzelnen lebenden Organismus ist das Leben von einem offenkundigen Ziel nicht zu trennen. Nämlich von dem Ziel, sich selbst zu erhalten, solange der altersbedingte Tod nicht vor der Tür steht. Der unmittelbare Weg, auf dem das Leben seine Aufrechterhaltung bewerkstelligt, führt über das Befolgen der Vorschriften der Homöostase. Dabei handelt es sich um ein kompliziertes System von Regulationsmechanismen, die das Leben möglich machten, seit es erstmals in Form der frühen Einzeller aufblühte. Quelle: „Wie wir denken, wie wir fühlen“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies