Zarathustra ist nicht Friedrich Nietzsche

Zarathustra darf nicht als das Alter Ego Friedrich Nietzsches missverstanden werden. Denn dieser will das triebdynamische Gewaltverhältnis umkehren. Er will das Leben, die Sinnlichkeit, das Begehren peitschen. Es bleibt jedoch bei einer leeren Geste. Das Leben hält sich angesichts des Geknalles seine zierlichen Ohren zu. Friedrich Nietzche schreibt: „Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner Peitsche! Du weißt es ja: Lärm mordet Gedanken.“ Konrad Paul Liessmann fragt sich, welche Gedanken das Geknalle Zarathustras stört und kommt zu folgendem Schluss: „Es sind, bekundet das Leben, durchaus zärtliche Gedanken, die durch Zarathustras Geknalle irritiert werden.“ Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

Mitternachtsgedanken sind Selbstmordgedanken

Und dann spricht das Leben wie eine Frau, die ihren Mann bei einem Seitensprung ertappt hat, zu Zarathustra: „Oh Zarathustra, du bist mir nicht treu genug! Du liebst mich lange nicht so wie du redest; ich weiß, du denkst daran, dass du mich bald verlassen willst.“ Der Betrug am Leben – das ist der Suizid. Zarathustra spielt mit Selbstmordgedanken. Er propagiert zwar das große Ja zu Leben und den Übermenschen. In Wirklichkeit jedoch ist er verzagt, depressiv, er denkt daran, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Mitternachtsgedanken sind Selbstmordgedanken. Zarathustra beugt sich zum Leben und flüstert ihm etwas ins Ohr. Was, das weiß man nicht. Man kennt nur die entsetzliche Reaktion des Lebens: „Du weißt Das, Oh Zarathustra? Das weiß Niemand.“ Niemand kennt dieses Geheimnis. Zarathustra gesteht, dass ihm in diesem Moment das Leben lieber war als alle seine Weisheit. Muss Zarathustra deshalb am Leben festhalten, weil es sich in diesem schon fortgezeugt hat, den Faden nicht abreißen lassen kann?

Zarathustra hat sich mit Anhängern umgeben

Der vierte Teil des Zarathustra gilt laut Konrad Paul Liessmann als Persiflage der ersten Teile. Zarathustra hat sich mit seltsamen Anhängern, „höheren“ Menschen umgeben. Diese sind nun keineswegs Antizipationen des Übermenschen. Auch sind sie keine besseren Menschen, sondern eher verkommene Relikte einer vergangenen Zeit. Es sind Menschen, die sich überlebt haben, gescheiterte Existenzen, die wenigstens um ihr Scheitern wissen und Einsicht in die Unzulänglichkeit ihrer Tätigkeit gewonnen haben.

Dazu zählen unter anderem ein alter Zauberer, der nicht mehr zaubern kann und ein Wahrsager, dem die Zukunft verborgen bleibt. Zu den tragikomischen Gestalten gehören auch der letzte Papst, der nicht mehr glaubt und der hässlichste Mensch, der Gott getötet und wieder reanimiert haben will. Zarathustra weist ihnen einen Weg zu seinem Lied. Er erläutert ihnen, welche aufregenden und wirren Gedanken und Gefühle in diesen Versen kulminieren und zu ihren Pointen finden. Quelle: „Alle Lust will Ewigkeit“ von Konrad Paul Liessmann

Von Hans Klumbies