Die Liebe ist für Max Scheler ein Urakt

Max Scheler vertritt eine Aktphänomenologie, für die das Fühlen als intentionaler Akt eine zentrale Rolle einnimmt. So etwa beim Erfühlen von Werten in seiner bekannten Schrift „Der Formalismus in der Ethik und die materielle Wertethik“. Mit welcher er sich nicht nur gegen die kantische Pflichtethik wendete. Sondern mit der er auch die Grundlegung einer bis heute einflussreichen Position der Wertethik vorlegte. Es verwundert daher nicht, dass in einer Theorie, die das Fühlen derart aufwertet, auch der Liebe eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Max Scheler postuliert einen Primat des Emotionalen im geistigen Geschehen. Dabei versteht er die Liebe als den „Urakt“ menschlicher Geistestätigkeit. Er geht hier von einem christlichen Liebesgedanken aus, wobei er stark an augustinische Gedanken anknüpft. Max Scheler (1874–1928) war ein deutscher Philosoph, Psychologe, Soziologe und Anthropologe.

Die Liebe ist die Erweckerin zur Erkenntnis

Besonders Augustinus` Vorstellung eines „ordo amoris“, also einer Selbst- und Weltzugang prägenden Ordnung der eigenen Gefühle von Zu- und Abneigung nimmt Max Scheler auf. Er profiliert sie im Rahmen seiner phänomenologischen Anthropologie. Liebe ist für ihn ein Urakt, die Bewegung hin zur Wertvollkommenheit, die einem jeden Wesen innewohnt. Als ursprünglicher Akt der Zuwendung zur Welt fundiert sie aber auch alles Erkennen und Wollen. Deshalb nennt Max Scheler sie in diesem Text „die Weckerin zur Erkenntnis und zum Wollen – ja die Mutter des Geistes und der Vernunft selbst“.

Zur normativen und deskriptiven Bedeutung des „ordo amoris“ schreibt Max Scheler: „Ich befinde mich in einer unermesslichen Welt sinnlicher und geistiger Objekte. Diese setzen mein Herz und meine Leidenschaften in eine unaufhörliche Bewegung.“ Max Scheler weiß, dass ebenso sehr die Gegenstände, die ihm zu wahrnehmender und zu denkender Erkenntnis kommen, wie all das, was er will, wählt, tut, handelt, leistet, vom Spiel dieses Bewegung seines Herzens abhängig ist. Hieraus folgt für ihn, dass alle Art von Rechtheit oder Falschheit und Verkehrtheit seines Lebens und Treibens von folgendem bestimmt sein wird.

Die Liebe und der Hass sind der Kern des Ethos

Max Scheler erklärt: „Und zwar, ob es eine objektiv rechte Ordnung dieser Regungen meiner Liebe und meines Hasses, meiner Neigung und Abneigung, meines mannigfaltigen Interesses an den Dingen dieser Welt gibt. Und ob es mir möglich sei, diesen „ordo amoris“ in meinem Gemüte einzuprägen.“ Ob Max Scheler ein Individuum, ein historisches Zeitalter, eine Familie, ein Volk, eine Nation oder andere beliebige soziogeschichtliche Einheiten auf ihr innerstes Wesen untersucht. Er wird es dann am tiefsten erkennen und verstehen, wenn er das stets irgendwie gegliederte System seiner faktischen Wertschätzungen und seines Wertvorziehens erkannt hat.

Dieses System nennt Max Scheler das Ethos dieses Subjekts. Der fundamentale Kern aber dieses Ethos ist die Ordnung der Liebe und des Hasses. Es handelt sich dabei um die Aufbauform dieser herrschenden und vorherrschenden Leidenschaften. Und zwar an erster Stelle diese Aufbauform in einer vorbildlich gewordenen Schicht. Die Weltanschauung wie die Taten und Handlungen des Subjekts sind durch dieses System stets mitregiert. So hat der Begriff eines ordo amoris doppelte Bedeutung: eine normative und eine nur faktische und deskriptive Bedeutung. Quelle: „Was ist Liebe?“ aus dem Verlag Reclam

Von Hans Klumbies