Edgar Wolfrum erzählt in seinem neuen Buch „Der Aufsteiger“ die Geschichte Deutschlands von 1990 bis heute. Dabei handelt es sich um die erste historische Gesamtdarstellung der Berliner Republik. Eindringlich benennt der Autor die neuen Herausforderungen, Probleme und Erfolge der Innenpolitik, Sozialkultur und Außenpolitik. Nach der Wiedervereinigung von 1990 hat sich die Bundesrepublik zu einer kontinentalen Großmacht mit weltpolitischem Gewicht entwickelt. Um das Neue und den Wandel beim Aufstieg Deutschlands sichtbar zu machen, zieht Edgar Wolfrum immer wieder Vergleiche zur „alten“ Bundesrepublik heran. Das Neue reicht dabei von schleichenden Veränderungen im Parteiensystem oder der gesellschaftlichen Erregung bis hin zu den großen Fragen wie Krieg und Klimawandel. Trotz aller Probleme erscheint heutzutage Deutschland noch immer als ein stabiles Land. Vieles ist geglückt, und in vielem haben die Deutschen wiederum einfach nur Glück gehabt. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.
Den politischen Aufstieg musste Deutschland erst verkraften
Deutschland Wiederkehr nach 1990 war im Wechsel der Weltpolitik und angesichts großer und kleiner Gräben im Inneren viel konfliktreicher als die Geschichte von 1945 bis dahin. Verursacht durch eine Gesellschaft, die nach langer Teilung erst wieder zusammenwachsen musste. Infolge der unverhofften deutschen Einheit trat zur Wirtschaftsmacht auch der politische Aufstieg hinzu. Dies war eine Karriere sondergleichen, die das Land erst akzeptieren oder verkraften musste.
Die Erwartungen an Deutschland von außen waren enorm. Dass manches davon nicht eintraf, lag nicht allein an überzogenen Wünschen, sondern auch am deutschen Selbstzweifel. So gebärdete sich der Aufsteiger nicht nur als Musterknabe, manchmal haftete ihm auch etwas Unstetes an. Er war unsicher und rang mit seinem Status. Im Land brach zudem eine neue Fragilität durch, die nicht allein den west-östlichen Problemen der „inneren Einheit“ geschuldet war. Die Deutschen als Musterschüler der Demokratie, dieses Bild bekam Risse.
Alle Demokraten müssen sich gegen den Rechtspopulismus in Deutschland wehren
Siebzig Jahre sind seit dem Zweiten Weltkrieg und dreißig Jahre seit dem Mauerfall vergangen. Aber Deutschland hat noch immer nicht gelernt, auf der Grundlage seiner Werte seine Interessen zu definieren und diese aktiv zu verfolgen. Es sollte eigentlich jeder wissen, dass ein Koloss wie Deutschland keine Wahl hat, Macht auszuüben oder nicht. Es konnte beispielsweise keine deutsche Finanzpolitik geben, die nicht auch Effekte auf den Rest der Welt hätte. Zudem glaubte das Ausland einem derart starken Land nicht mehr, wenn es sich zerknirscht und unsicher zeigte.
Nachdenklich sollte allerdings die populistische Revolte in Deutschland machen, die eng mit dem Aufstieg der AfD verbunden war. Vor allem im Gefolge der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 schwoll die Erregung unter der Bevölkerung stetig an. Wen man jeden Tag hört und liest wie wütend viele Menschen waren, ist es nicht verwunderlich, wenn diese Wut ins eigene Weltbild aufgenommen wird. Edgar Wolfrum fordert: „Es wird darum gehen, dass die 85 Prozent, die die AfD nicht gewählt haben, den Rechtspopulismus ächten und zeigen, dass die in Reaktion auf die Zerstörung der Weimarer Republik begründete >wehrhafte Demokratie< der Bundesrepublik kein Papiertiger ist.“
Der Aufsteiger
Eine Geschichte Deutschlands von 1990 bis heute
Edgar Wolfrum
Verlag: Klett-Cotta
Gebundene Ausgabe: 368 Seiten, Auflage: 2020
ISBN: 978-3-608-98317-3, 24,00 Euro
Von Hans Klumbies