Die Utopie spielt in der politischen Debatte keine Rolle mehr

Richard David Precht konstatiert, dass aus den politischen Debatten in der westlichen Welt die demokratische Utopie weitgehend verschwunden ist. Schon Karl Marx und Friedrich Engels wehrten sich dagegen, dass ihre Prophetie der Geschichte nur eine Utopie sei; sie verbannten das Wort aus ihrem Wortschatz. Und auch heute steht die Utopie gern als albern und weltfremd im Raum, jedenfalls dann, wenn sie sich nicht auf Technik, sondern auf Gesellschaft bezieht – so als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Irrlichternde Phänomene wie die Partei der „Piraten“ in Westeuropa haben noch das Ihre dazu beigetragen. Randvoll mit Selbstwidersprüchen und kindlichen Allmachtsfantasien zerstoben sie schneller als sie gekommen waren. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Die Auseinandersetzung mit dem Tod gehörte schon immer zum Leben

In der Frühzeit der Menschheit gab es noch keine Medizin, die sich um die Traumata der menschlichen Seele kümmern konnte. Man kann aber die Ansicht vertreten, dass religiöse Überzeugungen, Moralsysteme, Justiz und politische Regierungsführung im Wesentlichen auf diese Traumata abzielten und darauf, sich von deren Folgen zu erholen. Am engsten ist die Entwicklung religiöser Überzeugungen in den Augen von Antonio Damasio mit der Trauer über persönliche Verluste verknüpft, welche die Menschen zwang, sich mit der Unausweichlichkeit des Todes und den unzähligen Wegen, auf denen er sich einstellen kann, auseinanderzusetzen: Unfälle, Krankheiten, Gewalttaten und Naturkatastrophen – alles andere, nur nicht das hohe Alter, das in prähistorischer Zeit selten war. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Die Wirtschaftswissenschaft verliert immer mehr an Ansehen

Christian Felber stellt in seinem neuen Buch „This is not economy“ Grundsatzfragen nach den Wurzeln der Wirtschaftswissenschaft und den Gründen ihrer fundamentalen Verirrungen. Und er macht einen konkreten und konsistenten Vorschlag für eine ganzheitliche Wirtschaftswissenschaft. Über der Einleitung steht der Satz von Paul Krugman: „Moderne Makroökonomie ist bestenfalls spektakulär nutzlos und schlimmstenfalls klar schädlich.“ Christian Felber schließt daran mit einem Kernwiderspruch der Wirtschaftswissenschaften an: Der Mainstream der Forschung glaubt tatsächlich, dass die neoklassische Ökonomik eine wertfreie Wissenschaft sei. Das ist seiner Meinung nach nicht nur eine mächtige Selbst- und Publikumstäuschung, denn wenn das eigene Wertesystem nicht transparent gemacht wird, handelt es sich um Ideologie. Umso mehr, wenn damit die bestehende Ordnung legitimiert wird, anstatt dringend benötigte Alternativen zu entwickeln. Christian Felber lebt als Autor in Wien.

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Russland ist als Großmacht ein „Scheinriese“

Wenn man über die Weltordnung und über Weltmächte redet, denken viele – auch knapp dreißig Jahre nach Ende des Kalten Kriegs – nicht nur an die USA und China, sondern auch an Russland. Die Russische Föderation ist flächenmäßig der größte Staat der Erde, umfasst mit etwa 140 Millionen Einwohnern etwa ein Drittel so viele Bürger wie Europa und ist eine von fünf offiziell anerkannten Atommächten. Wolfgang Ischinger stellt fest: „Doch eine moderne Großmacht braucht nicht nur Fläche und militärische Macht, sondern auch wirtschaftliche und politische Innovationskraft – also neben >Hard Power< auch >Soft< und >Smart Power<.“ In dieser Hinsicht ist Russland seiner Meinung nach eher ein „Scheinriese“ mit einem Bruttosozialprodukt, das kleiner ist als das von Italien, einer lahmenden Wirtschaft und einem problematischen Gesundheitssystem. Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und einer der renommiertesten deutschen Experten für Außen- und Sicherheitspolitik.

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In einen Demokratie kann auch die Opposition Wahlen gewinnen

Es gehört mittlerweile zum guten Ton, angesichts von Brexit, Donald Trump, Marine Le Pen, der Krise der Europäischen Union (EU) und dem Aufstieg autoritärer Bewegungen vom Versagen der politischen, aber auch der intellektuellen Eliten zu sprechen. Nun, diese Rede ist aus mehreren Gründen verräterisch. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Auf wesentliche Teile der etablierten Eliten trifft sie nämlich gar nicht zu, diese sympathisieren ohnehin mit dem Brexit oder sitzen nun in Donald Trumps Regierung.“ Auch ist es ein wenig seltsam, gleich von einem Versagen der Eliten zu sprechen, wenn die Ergebnisse von Wahlen nicht den eigenen politischen Präferenzen entsprechen. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Das Vorhandene ist Allgemeingut der Menschheit

In so gut wie allen Bereichen wurde in den vergangenen Jahren die „kleine Einheit“ wiederentdeckt. Die Vorbehalte gegen Zentralismus und Großorganisationen wachsen in dem Maße, wie die Notwendigkeit von Kooperation im Kleinen steigt. Christian Schüle stellt fest: „In Zukunft wird es auf die Fähigkeit zur Kooperation ankommen, auf die Kompetenz, mit unvermeidbarer Diversität umgehen zu lernen.“ Zuständigkeiten müssen lokal und regional organisiert werden, mit bestem Wissen und Gewissen für die mikrosoziale Heimat, die der Oikos in seinen jeweils unterschiedlichen Verbünden darstellt. Der Grundgedanke einer neuen Heimat als Verbund von Bündnissen der Distrikte und Kreisläufen der Kooperationen basiert auf der schlichten Überlegung, dass das Vorhandene die Allmende der Menschheit ist: Allgemeingut. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Die Wissenschaft ist die größte Errungenschaft der Menschheit

Bereits im Alter von 24 Jahren schrieb Alfred Jules Ayer (1910 – 1989) ein Buch, in dem er erklärte, dass der Großteil der Geschichte der Philosophie leeres Geschwafel oder gar kompletter Unsinn sei. Das 1936 veröffentlichte Werk trug den Titel „Sprache, Wahrheit und Logik“. Das Buch wurde zu einer wichtigen Streitschrift für eine neue philosophische Richtung, die man als logischen Positivismus oder logischen Empirismus bezeichnete. Nigel Warburton erklärt: „Für die logischen Empiristen ist die Wissenschaft die größten Errungenschaft der Menschheit.“ „Metaphysik“ ist ein Begriff, der verwendet wird, um diejenige Realität zu bezeichnen, die jenseits der sinnlich erfahrbaren physischen Welt lieg. Dass es eine solche Realität gab, stand für Philosophen wie Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer und Georg Wilhelm Friedrich Hegel fest. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.“

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Albert O. Hirschmann unterscheidet zwischen teilbaren und unteilbaren Konflikten

Der Soziologe Albert O. Hirschmann unterscheidet zwei Arten von Konflikten. Bei teilbaren Konflikten geht es um Interessen – etwa um Wirtschaftsinteressen oder Verteilungsfragen. Isolde Charim ergänzt: „Da kann es Zugeständnisse, Tauschhandel und Kompromisse geben. Da kann man sich auch am ökonomischen Gewinn orientieren.“ Denn der Einsatz bei einem solchen Konflikt ist eine messbare Einheit wie etwa Geld. Dabei wird um das Mehr oder Weniger gerungen. Insofern sind solche Konflikte eben „teilbar“ – also verhandelbar, debattierbar und insofern lösbar. Unteilbare Konflikte hingegen sind jene, die das nicht sind. Das sind Konflikte um Identitäten, um Kulturen, um Werte, Konflikte um religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen wie etwa der Streit um Multikulturalismus oder der Konflikt um Sterbehilfe – Dinge also, die nicht messbar und insofern auch nicht teilbar sind. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Eine moderne Gesellschaft prägen Konflikte und Kontroversen

Gestützt auf die Erfahrung der Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrer langen Geschichte religiöser und ethnischer Vielfalt, entwickelt der amerikanische Wissenschaftler Lee Bollinger die These, dass die freie Meinungsäußerung „unsere Fähigkeit auf die Probe stellt, in einer Gesellschaft zu leben, die unvermeidlich von Konflikten und Kontroversen geprägt ist; sie schult uns in der Kunst der Toleranz und wappnet uns gegen die Wechselfälle [einer solchen Gesellschaft]“. Da die Menschen äußerst verschieden sind, werden sie sich nicht alle für das gleiche Leben entscheiden. Sie werden nicht alle einig sein. Timothy Garton Ash erklärt: „Wie schon Immanuel Kant wusste, würde die menschliche Gesellschaft stagnieren und wäre einfältig, wenn wir das täten.“ Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Der Weise legt viel Wert auf Dankbarkeit

Seneca weist auf einen Gesichtspunkt hin, der den Umgang mit einem schweren Schicksal erleichtern kann. Es ist die Dankbarkeit für das, was einem das Leben bisher gegeben hat. Albert Kitzler erläutert: „Anstatt auf Zukünftiges zu hoffen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf die vorhandenen Güter richten und dankbar sein für das, was wir haben.“ Seneca meint, dass die Menschen häufig dem Schicksal gegenüber ungerecht sind, wenn sie ein unterschiedliches Maß anlegen an das, was ihnen gewährt und was ihnen vorenthalten wird. Sie haben die Tendenz, das Gewährte gering zu achten und zu viel zu verlangen: „Niemand weiß Dank zu erstatten außer dem Weisen.“ Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Horst Opaschowski kennt Deutschlands Zukunft

In seinem neuen Buch „Wissen, was wird“ blickt Horst Opaschowski, einer der profiliertesten Zukunftsforscher Deutschlands, sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Kaum jemand kennt Deutschland und die Deutschen so gut wie er. Horst Opaschowski vergleicht frühere Voraussagen – beispielsweise zur Bevölkerungsentwicklung, zu West- und Ostdeutschland, zum technischen Fortschritt, zum Familienleben und Sozialverhalten, zum Arbeitsleben, zum Wertewandel – mit den tatsächlichen Entwicklungen. So entwickelt er präzise Prognosen für die maßgebenden gesellschaftlichen Trends in Deutschland. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

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Die Liebe ist ein Urphänomen

Es gibt heutzutage ein krank machendes Verhalten, gegen das schon Viktor Frankl mit großer Leidenschaft zu Felde zog, ein Verhalten, dass nach wie vor eine wesentliche Ursache für das Entstehen existentieller Frustration ist. Gemeint ist der Mangel an Hingabe, an Liebe: zu Menschen, zu Aufgaben, zum Leben. Liebe nannte er die „personale Seinsweise“ des Menschen. Was heißt das? Uwe Böschemeyer erläutert: „ Die Liebe ist ein spezifisch menschlicher, der wichtigste, der einzig normative Wert. Mag er noch so verkapselt, verschüttet, verdrängt sein. Er bleibt eine reale Möglichkeit eines jeden Menschen. Er ist ein Urphänomen.“ Deshalb wartet letztlich jeder Mensch darauf – und sei es ihm noch so unbewusst –, nicht nur geliebt zu werden, sondern auch selbst lieben zu können. Uwe Böschemeyer ist Rektor der Europäischen Akademie für Wertorientierte Persönlichkeit und Leiter des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse in Salzburg.

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Es gibt einen Zwang in Kausalitäten zu denken

Aus der Natur des Menschen folgen die Fähigkeit und der Zwang, in Kausalitäten zu denken, also die Erscheinungen der äußeren, aber auch der inneren Welt in Zusammenhängen von Ursachen zu setzen. Thomas Fischer stellt fest: „Dieser Zwang ist so groß, dass er das gesamte Denken beherrscht und kein Phänomen ursachenlos („begründungslos“) lassen kann.“ Daher werden einerseits auf offenkundig schlechte Begründungen akzeptiert (etwa, die Neigung zu Kriminalität hänge ursächlich mit „rassischen“ Merkmalen zusammen); andererseits werden Lücken des Zusammenhangs „fiktiv“ geschlossen – indem eine Ursache als „noch nicht gefunden“ postuliert wird. Die Wirksamkeit dieses Zwangs zu Begründungen ist unabhängig davon, in welcher Struktur der Rationalität und Vorstellungswelt die Ursachen gesucht und gefunden werden. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Für Yasmina Reza ist das Schreiben kein intellektueller Akt

Die französische Dramatikerin Yasmina Reza hat einmal die Zeit als ihren Intimfeind bezeichnet. Denn sie hatte immer schon das Gefühl, dass es eilt, dass ihr Leben kurz ist. Schon als Kind. Erst als Erwachsene hat sie verstanden, dass nicht alle so denken: „Die meisten Menschen, denen man begegnet, haben viel Zeit. Ihnen steht nicht ständig vor Augen, dass es morgen schon vorbei sein kann.“ Gelegentlich tritt Yasmina Reza noch als Schauspielerin auf. Kritiker sind dabei immer wieder überrascht, wie körperlich ihr Spiel ist. Sie stellen es sich intellektueller, weniger sinnlich vor. Yasmina Reza war zunächst Schauspielerin, bevor sie Dramatikerin wurde. Gleich ihre ersten beiden Stücke erhielten den wichtigsten französischen Theaterpreis „Molière“. Ihr Stück „Gott des Gemetzels“ wurde 2011 von Roman Polanski verfilmt. Diese Woche erscheint ihr Buch „Anne-Marie die Schönheit“.

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Der Geist hat kein Geschlecht

„Philosophinnen: Eine andere Geschichte des Denkens“ lautet der Titel der neuen Sonderausgabe des Philosophie Magazins. Vorgestellt werden darin weltberühmte und kaum bekannte Denkerinnen wie Hypatia von Alexandrien, Hildegard von Bingen, Émilie du Châtelet, Mary Wollstonecraft, Simone Weil, Harriet Taylor Mill, Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Dona Haraway, Judith Butler und viele, viele mehr. Allein an dieser kleinen Auswahl sieht man, dass die Philosophie niemals ein rein männliches Hoheitsgebiet war. Auch nicht in früheren Jahrhunderten. In jeder Epoche gibt es auch herausragende Denkerinnen. „Und zwar so viele und dermaßen interessante, dass sich unweigerlich der Verdacht einstellt, diese seien nicht einfach vergessen, sondern von der Philosophiegeschichte geradezu aktiv verdrängt worden“, spekuliert die Chefredakteurin der Sonderausgabe, Catherine Newmark. Denn seit der Antike haben Frauen über Metaphysik, Ethik, Naturphilosophie und Politik nachgedacht und geschrieben. Der Geist hat kein Geschlecht.

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Der fanatische Fremdenfeind hasst alle Ausländer

Menschen mit fremdenfeindlichen Haltungen fühlen sich im Gegensatz zu den Fanatikern nicht in jedem Augenblick von selbstwertbedrohlichen Gefühlen umgetrieben. Ernst-Dieter Lantermann nennt den Grund dafür: „Ihnen bleiben in aller Regel noch andere Orte und Gelegenheiten, ihr angegriffenes Selbstwertgefühl zu stärken, jenseits der Sicherheitsgewinne, die sie aus ihrer Fremdenfeindlichkeit ziehen.“ Der Fanatiker setzt dagegen alles auf eine Karte: Er kennt nur den einen Weg, seine Selbstsicherheiten und seine Selbstwertschätzung zurückzugewinnen – die Fremden mit höchster Konsequenz zu verachten und zu bekämpfen. Während sich fremdenfeindliche Menschen damit begnügen, ihre Ablehnung mit abfälligen Bemerkungen und Gesten, verbalen Rundumschlägen, Beleidigungen, Erniedrigungen, Ab- und Ausgrenzungen oder in Form versteckter oder offener Diskriminierung zum Ausdruck zu bringen, gibt sich der fanatische Fremdenfeind damit nicht zufrieden: Er hasst die fremden Eindringlinge, und sein Hass zielt auf deren Vernichtung. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Die Liebe ist rar und kostbar

Im Leben der Menschen ist von wenig anderem mehr die Rede als von der Liebe – von der, die man sich wünscht, von der, die man als großes Glück empfindet und die folglich niemals missen möchte, und von der, die man verloren hat – sei es durch wechselseitige Enttäuschung, innere Entfremdung, Treulosigkeit oder durch Tod. Volker Gerhard fügt hinzu „Vor diesem Hintergrund erscheint es weniger abwegig, von der Liebe zum Menschen zu sprechen. Denn die Liebe hat auch in der Suche nach dem Partner oder nach dem Kreis von Freunden, zu denen man sich hingezogen fühlt und denen man vertraut, etwas durchaus Unwahrscheinliches, Seltenes und rasch wieder vergängliches; sie ist rar und kostbar, auch deshalb wird sie so beharrlich mit dem Glück assoziiert.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Europas muss sich mehr um die eigene Sicherheit kümmern

Es wird in Deutschland immer wieder das Argument vorgetragen, Europa müsse die Zeichen der Zeit erkennen und sich endlich von den USA abnabeln. Durch das, was die Welt jetzt mit Donald Trump erlebt, wird die Notwendigkeit, dass Europa sich handlungsfähiger macht, deutlicher als je zuvor. Und Wolfgang Ischinger stimmt zu: „Es kann nicht dauerhaft politisch tragfähig sein, dass 500 Millionen wohlhabende Europäer wesentliche Teile ihrer Sicherheit an den atlantischen Partner auf der anderen Seite des Ozeans outsourcen.“ Insofern müssen die Europäer das Thema Sicherheit energischer in die eigene Hand nehmen, genau wie es die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Truderinger Rede gesagt hat. Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und einer der renommiertesten deutschen Experten für Außen- und Sicherheitspolitik.

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Silvio Vietta stellt die wichtigsten europäischen Wertefamilien vor

Werte prägen Menschen, steuern Epochen, geben der ganzen Kulturgeschichte eine Struktur. Silvio Vietta beschreibt in seinem Buch „Europas Werte“ die drei wichtigsten europäischen Wertefamilien. Erstens die Werte der Rationalitätskultur – persönliche wie politische. Zweitens die Werte der Religion, vor allem diejenigen des Christentums. Drittens die Werte des Patriotismus in den europäischen Ländern. Werte liegen im Konflikt miteinander, überlagern und verdrängen sich aber auch. Silvio Vietta erläutert welche Werte in der Geschichte Europas dominieren, welche an Bedeutung verlieren. Politische Einstellungen und ganze Epochen können nach der Dominanz ihrer Werte unterschieden werden. In Zeiten des augenscheinlichen Verfalls der Werte plädiert Silvio Vietta für ihre Balance und einen europäischen Patriotismus der Werte. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Bong Joon-ho gewann mit „Parasite“ die Goldene Palme von Cannes

Mit Thrillern wie „Memories of Murder“, „The Host“ und „Mother“ hat sich Bong Joon-ho eine Ruf als einer der aufregendsten Regisseure des modernen Kinos erarbeitet. Für „Parasite“, eine Familiengeschichte zwischen Komödie, Drama und Horrorthriller, wurde er im Mai in Cannes mit der Goldenen Palme für den besten Film geehrt. Das Werk geht für Südkorea ins Rennen um den Oscar. In „Parasite“ erzählt Bong Joon-ho von einer armen Arbeiterfamilie, die sich als Angestellte bei einer reichen Familie in einem schönen Haus einnistet und immer verbrecherischer deren Lebensstil ausbeutet. Die traurige Botschaft lautet: Mit legalen Mitteln hätten sie ewig arbeiten müssen, um sich dieses Leben leisten zu können. Bong Joon-ho hat nachgerechnet: „Also um genau zu sein, wären es 547 Jahre gewesen.“ Bong Joon-ho wurde 1969 in der südkoreanischen Stadt Daegu geboren und studierte Regie an der Filmhochschule in Seoul. Er ist einer der erfolgreichsten Regisseure seines Landes.

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Verschiebung und Verdichtung gestalten den Traum

Der Traum ist für Sigmund Freud das Ergebnis einer „sekundären Bearbeitung“ von Erfahrungsresten, die er in seiner „Bilderschrift“ gleichzeitig „verdichtet“ und „verschiebt“, das heißt: konzentriert und umlenkt. Sigmund Freud schreibt: „Traumverschiebung und Traumverdichtung sind die beiden Werkmeister, deren Tätigkeit wir die Gestaltung des Traumes hauptsächlich zuschreiben dürfen.“ Der Traum sei knapp, armselig, lakonisch im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken. Der Traum fülle niedergeschrieben eine halbe Seite; die Analyse, in der die Traumgedanken enthalten seien, bedürfe das sechs-, acht-, zwölffache an Schriftraum. Peter-André Alt ergänzt: „Der Traum ist überbestimmt, denn er entsteht aus der Konzentration, die im Verdichtungsprozess stattfindet.“ Dabei kommt es häufig zu einer direkten Veranschaulichung der in einem Wort bezeichneten Bedeutung. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Das Glück hängt von der inneren Bewertung ab

Ulrich Schnabel kennt eines der wichtigste Prinzipien des Glücklichseins: „Unser Wohl- oder Unlustgefühl hängt weniger an den äußeren Umständen als an der inneren Bewertung, die wir mit diesen Umständen verknüpfen.“ Schon vor fast zweitausend Jahren formulierte der griechische Philosoph Epiktet diese Erkenntnis: „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.“ Epiktet wählt zur Verdeutlichung gleich das radikalste mögliche Beispiel: den Tod. Selbst der sei „die vorgefasste Meinung von ihm, dass er etwas Schreckliches sei, das Schreckhafte.“ Deshalb empfiehlt Epiktet, sich nicht im vergeblichen Kampf gegen das Unabänderliche zu verausgaben, sondern eher an der eigenen Haltung zu arbeiten. „Bemühe dich daher, jedem unangenehmen Gedanken damit zu begegnen, dass du sagst: Du bist nicht das, was du zu sein scheinst, sondern bloß ein Gedankending.“ Ulrich Schnabel ist seit über 25 Jahren Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT.

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Jeder Mensch sehnt sich nach Liebe

Die Liebe lässt sich nicht erklären, und doch, wenn man sie erlebt, erklärt sie alles. Wer zum ersten Mal wirklich liebt, nimmt die Welt um sich herum plötzlich völlig anders wahr. Andreas Salcher fügt hinzu: „Unser ganzes Denken und Körpergefühl verändert sich. Die Schmetterlinge im Bauch, von deren Existenz wir bestenfalls aus Liebesfilmen wussten, erwachen auf einmal tatsächlich in uns zum Leben.“ Und damit die Hoffnung, dass der andere das eigene Selbst von allen seinen Verletzungen heilen wird. So wie früher Liebesbriefe lösen heute Nachrichten auf dem Smartphone ungeahnte Glücksgefühle aus. Das Warten auf die nächste Botschaft wird unerträglich und eine neutrale oder gar diffuse Nachricht des Geliebten stürzt das eigene Selbst in tiefste Verzweiflung. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.

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Die Menschen sind nicht zu ewiger Skepsis verurteilt

An die Möglichkeit einer unerschütterlichen, absoluten Gewissheit begann manch ein Philosoph und Wissenschaftler im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts immer stärker zu zweifeln. Ger Groot fügt hinzu: „Darin zeichnete sich schon die Krise ab, die die Moderne dauerhaft kennzeichnen sollte. Das Band zu einem „absolutum“, das sich als weniger verlässlich erwies als angenommen, wurde durchschnitten.“ Aber was trat an seine Stelle? Sind die Menschen dazu verurteilt, fortwährend in Skepsis und Unsicherheit umherzuirren? Eine andere Frage lautete: „Lässt sich denn noch ein absoluter Punkt finden, in dem unser Leben verankert werden kann und sich unsere Erkenntnis ihrer selbst versichern kann?“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Otto von Bismarck wollte eine Isolation Deutschlands vermeiden

Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 wurde Otto von Bismarck vom Zerstörer zum Bewahrer der Ordnung. Andreas Rödder erläutert: „Nach innen bekämpfte er die katholische Kirche und die Sozialisten als vermeintliche „Reichsfeinde“, und nach außen suchte er das Gleichgewicht der Mächte in der Form von 1871 zu erhalten.“ Otto von Bismarck lernte die Lektion der Krieg-in-Sicht-Krise. Er verkündete, um die „halbhegemoniale Stellung“ Deutschlands einzuhegen, das Deutsche Reich sei zufrieden mit dem Status quo – entgegen allen expansiven Ambitionen nationaler oder machtpolitischer Art. In gewisser Weise ähnelte diese Politik der Machtsicherung durch Machtverzicht der bundesdeutschen Politik des Souveränitätsgewinns durch Souveränitätsverzicht. Dies geschah allerdings nicht wie nach 1949 durch supranationale Selbsteinbindung, sondern mit dem Anspruch, die Fäden selbst in der Hand zu halten. Seit 2005 ist Andreas Rödder Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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