Wenn man über die Weltordnung und über Weltmächte redet, denken viele – auch knapp dreißig Jahre nach Ende des Kalten Kriegs – nicht nur an die USA und China, sondern auch an Russland. Die Russische Föderation ist flächenmäßig der größte Staat der Erde, umfasst mit etwa 140 Millionen Einwohnern etwa ein Drittel so viele Bürger wie Europa und ist eine von fünf offiziell anerkannten Atommächten. Wolfgang Ischinger stellt fest: „Doch eine moderne Großmacht braucht nicht nur Fläche und militärische Macht, sondern auch wirtschaftliche und politische Innovationskraft – also neben >Hard Power< auch >Soft< und >Smart Power<.“ In dieser Hinsicht ist Russland seiner Meinung nach eher ein „Scheinriese“ mit einem Bruttosozialprodukt, das kleiner ist als das von Italien, einer lahmenden Wirtschaft und einem problematischen Gesundheitssystem. Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und einer der renommiertesten deutschen Experten für Außen- und Sicherheitspolitik.
In ganz Osteuropa haben die Staaten Angst vor Russland
Außer Militärmacht und Energiereserven hat Russland also vergleichsweise wenig zu bieten. „Gute Außenpolitik besteht im Aufbau von Vertrauen, im Gewinnen neuer Freunde und Allianzen und dem Reduzieren alter Feindseligkeiten und Misstrauen“, hat Wolfgang Ischinger im Auswärtigen Amt immer wieder gepredigt. In dieser Hinsicht fällt für Russland die Bilanz ziemlich negativ aus, mit weiter sinkender Tendenz. Moskaus Beziehungen zu den ehemaligen Sowjetrepubliken basieren vor allem auf ökonomischen oder militärischen Abhängigkeiten.
In den baltischen Staaten, in Polen wie in ganz Osteuropa hat man Angst vor Russland, und das finden mache in Moskau sogar gut. Mit Georgien und der Ukraine haben sich die Zwistigkeiten zu dauerhaften Waffenkonflikten ausgewachsen – ohne absehbare Versöhnung. Also kaum neue Freunde – aber wachsendes Misstrauen oder gar Gegnerschaft bei den Nachbarn. Gleichzeit muss man allerdings sehen, dass Russland erfolgreiche Außenpolitik anders definiert als beispielsweise Deutschland.
Die russische Außenpolitik wird langfristig nicht erfolgreich sein
Freunde und Verbündete zählen in der russischen Außenpolitik nicht viel. Wolfgang Ischinger erläutert: „Es geht um Macht, es geht darum, die große russische Geschichte wiederaufleben zu lassen, und darum, dem Westen die Stirn zu bieten.“ Wolfgang Ischinger ist davon überzeugt, dass man langfristig so nicht erfolgreich sein kann. Aber kurzfristig schon. Und im Moment steht Russland, gemessen an seinen Möglichkeiten ganz gut da: In der Ukraine und in Syrien hat Russland seine Ziele zumindest kurzfristig erreicht.
Zudem verunsichern russische Geheimdienst- und Cyber-Aktivitäten die USA und die Demokratien in Europa. Die Beziehungen Russlands zum Westen, zur USA und der Europäischen Union (EU) haben sich insbesondere durch die Annexion der Krim und den Krieg in der Ukraine verschlechtert. Seit 2014 gibt es seitens der EU Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation. Moskau wiederum erteilte ein Einfuhrverbot für westliche Agrarprodukte und Lebensmittel. Seither wendet sich Moskau China zu. Quelle: „Welt in Gefahr“ von Wolfgang Ischinger
Von Hans Klumbies