Der Soziologe Albert O. Hirschmann unterscheidet zwei Arten von Konflikten. Bei teilbaren Konflikten geht es um Interessen – etwa um Wirtschaftsinteressen oder Verteilungsfragen. Isolde Charim ergänzt: „Da kann es Zugeständnisse, Tauschhandel und Kompromisse geben. Da kann man sich auch am ökonomischen Gewinn orientieren.“ Denn der Einsatz bei einem solchen Konflikt ist eine messbare Einheit wie etwa Geld. Dabei wird um das Mehr oder Weniger gerungen. Insofern sind solche Konflikte eben „teilbar“ – also verhandelbar, debattierbar und insofern lösbar. Unteilbare Konflikte hingegen sind jene, die das nicht sind. Das sind Konflikte um Identitäten, um Kulturen, um Werte, Konflikte um religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen wie etwa der Streit um Multikulturalismus oder der Konflikt um Sterbehilfe – Dinge also, die nicht messbar und insofern auch nicht teilbar sind. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.
Bei unteilbaren Konflikten geht es um alles oder nichts
Bei den unteilbaren Konflikten geht es unter anderem um Anerkennung, die sich an gefühlten Wahrheiten orientiert. Und diese sind weder verhandelbar noch kompromissfähig. „Ein bisschen Anerkennung gibt es nicht. Da geht es um alles oder nichts.“ Deshalb haben solche Konflikte ein Moment von „Unversöhnlichkeit“, wie der deutsche Soziologe Helmut Dubiel das genannt hat. In der gängigen Vorstellung besteht die Politik in einer Demokratie in der Transformation von unteilbaren, unlösbaren Konflikten in teil-, also verhandelbare Konflikte.
Dieses Demokratiekonzept, wonach es Ziel der Politik sei, alle Konflikte in Teilbares zu übersetzen, ist aber ein kompliziertes Missverständnis, denn es ist zugleich richtig und falsch. Natürlich kann die Übertragung unlösbarer identitärer oder wertorientierter Konflikte in teilbare – also solche, die etwa monetär zu regeln sind – oft ein Ausweg aus unrettbaren Antagonismen, aus unlösbaren Widersprüchen sein. Die Transformation von gesellschaftlichen Konflikten in handhabbare, messbare Einheiten kann eine politische Lösung sein.
Politik funktioniert nicht rein rational
Die mögliche Teilbarkeit von Konflikten ist etwas, das die Unversöhnlichkeit von Antagonismen zu transzendieren vermag. Insofern ist die Eröffnung eines Bereichs des Teilbaren tatsächlich genuin demokratisch. Dennoch ist der teilbare Kompromiss keine demokratische Erlösungsformel. Man gibt sich nämlich damit der Illusion hin, Politik könne tatsächlich rein rational funktionieren. Denn die Unterscheidung zwischen teilbaren und unteilbaren Konflikten reproduziert die alte Entgegensetzung von Ratio und Emotion.
Isolde Charim erläutert: „So wäre das Unteilbare immer leidenschaftsgetrieben, während die Teilbarkeit eine vernunftgelenkte wäre. Insofern reproduziert sich dabei die rationalistische Illusion einer emotionsbereinigten Politik – das Missverständnis also, das Ziel demokratischer Politik wäre ein rationaler Konsens.“ Tatsächlich geht es aber auch und gerade in der Demokratie darum, nicht nur einen rationalen, sondern auch einen emotionalen Konsens herzustellen. Quelle: „Ich und die Anderen“ von Isolde Charim
Von Hans Klumbies