Die Liebe ist rar und kostbar

Im Leben der Menschen ist von wenig anderem mehr die Rede als von der Liebe – von der, die man sich wünscht, von der, die man als großes Glück empfindet und die folglich niemals missen möchte, und von der, die man verloren hat – sei es durch wechselseitige Enttäuschung, innere Entfremdung, Treulosigkeit oder durch Tod. Volker Gerhard fügt hinzu „Vor diesem Hintergrund erscheint es weniger abwegig, von der Liebe zum Menschen zu sprechen. Denn die Liebe hat auch in der Suche nach dem Partner oder nach dem Kreis von Freunden, zu denen man sich hingezogen fühlt und denen man vertraut, etwas durchaus Unwahrscheinliches, Seltenes und rasch wieder vergängliches; sie ist rar und kostbar, auch deshalb wird sie so beharrlich mit dem Glück assoziiert.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Liebe ist fast nie frei von Erkenntnis

Wenn von Liebe die Rede ist, muss sie nicht notwendig auf das singuläre Paar, die Familie oder den Kreis der verlässlichen Freunde zogen sein. In der Tradition des Begriffs ist das schon seit der Antike so, auch wenn hier unterschiedliche Termini verwendet werden. Doch so richtig es ist, zwischen eros und agápe, zwischen amor, caritas oder ardor zu unterscheiden, so gut begründet ist zugleich, dass im Deutschen alles mit dem einen Begriff der Liebe benannt werden kann.

Volker Gerhardt erinnert daran, dass Liebe in ihrem hochindividualisierten Verständnis nicht frei von „Erkenntnis“ vorgestellt werden muss. Zwar kommt es vor, dass man sich „Hals über Kopf“ oder „Herz über Kopf“ verliebt. Aber ob das gänzlich ahnungslos, ohne Selbsterkenntnis und frei von Kriterien geschieht, sei dahingestellt. Zu wünschen ist in jedem Fall, dass auch die Verliebten wissen, was sie tun. Und je größer der Bereich ist, denen man sich in Liebe zuwendet, umso größer ist der Anteil der erklärenden Gründe, die man für sein Verhalten aufbieten kann.

Die Nächstenliebe wird immer wieder mit Widerständen zu tun haben

Dafür steht die Nächstenliebe, die auch dort, wo sie aus Neigung, spontanem Mitgefühl oder ernsthaft angenommener Gesinnung praktiziert wird, immer wieder mit Einwänden und Bedenken zu tun haben wird, gegen die sie sich zur Wehr zu setzen hat. Der Liebe zum Menschen aber stehen so viele innere und äußere Widerstände entgegen, dass man hier die besten Gründe braucht, um daran festzuhalten. Diese Gründe sind nicht zuletzt so anspruchsvoll, weil sie sich nur in eindringlicher Selbstkenntnis erschließen und sich allein in dem Bewusstsein festigen können, dass sich Mensch und Menschheit nicht trennen lassen.

Obgleich in der Geschichte der Ethik von Cicero bis Friedrich Nietzsche immer wieder Argumente vorgetragen wurden, die es verbieten sollten, Egoismus und Altruismus als Gegensätze zu behandeln, herrscht im alltäglichen Urteil wie auch in öffentlichen Debatten die Neigung vor, in beiden eine Art ewiger Alternative auszumachen. Das kann und muss man verstehen, wenn man mit den individuellen und kollektiven Erscheinungsformen des persönlichen, ökonomischen und politischen Egoismus zu tun hat. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies