Es gibt einen Zwang in Kausalitäten zu denken

Aus der Natur des Menschen folgen die Fähigkeit und der Zwang, in Kausalitäten zu denken, also die Erscheinungen der äußeren, aber auch der inneren Welt in Zusammenhängen von Ursachen zu setzen. Thomas Fischer stellt fest: „Dieser Zwang ist so groß, dass er das gesamte Denken beherrscht und kein Phänomen ursachenlos („begründungslos“) lassen kann.“ Daher werden einerseits auf offenkundig schlechte Begründungen akzeptiert (etwa, die Neigung zu Kriminalität hänge ursächlich mit „rassischen“ Merkmalen zusammen); andererseits werden Lücken des Zusammenhangs „fiktiv“ geschlossen – indem eine Ursache als „noch nicht gefunden“ postuliert wird. Die Wirksamkeit dieses Zwangs zu Begründungen ist unabhängig davon, in welcher Struktur der Rationalität und Vorstellungswelt die Ursachen gesucht und gefunden werden. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Kausalität wird meist nach der „Bedingungstheorie“ beschrieben

Die Zuweisung der Verantwortlichkeit von Ursachen kann ganz verschiedenen Prinzipien und Begründungen folgen. Aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts wird beispielsweise auf Scheinursachen wie „Hexerei“ verächtlich zurückgeblickt, weil sie „vormodern“ und abergläubisch sind. Im 15. und 16. Jahrhundert erschienen sie aber als überaus rationale Erklärungen im Sinn „aufgeklärter“ Ursachenforschung, und es wurde ihnen mit „wissenschaftlicher“ Systematik nachgespürt.

Kausalität wird – auch im Strafrecht – meist nach der sogenannten „Bedingungstheorie“ beschrieben: Ein Umstand ist ursächlich, wenn er nicht weggedacht werden kann, ohne dass der Umstand oder Erfolg entfiele. Thomas Fischer ergänzt: „Das gilt auch für Handlungen von Menschen: Eine „Körperverletzung“ werfen wir einer Person nur vor, wenn sie eine Handlung begangen hat, die ursächlich für die Verletzung einer anderen Person ist.“ Dieser Grundsatz wird allerdings in der sozialen Wirklichkeit in vielfacher Weise eingeschränkt und verändert.

Normativität und Moral strukturieren die Realität

Es muss, damit das Verantwortlichmachen und Bestrafen eine Grenze findet, eine Schranke des „Zurechnens“ eingebaut werden. Die Ursächlichkeit muss „eingeschränkt“ werden. Das könnte man ganz formal machen: In einer Kette von Ursachen werden nur die letzten drei Glieder gezählt, diese aber gleichwertig. Oder man könnte es auf bestimmte Formen der Verantwortung beziehen, zum Beispiel unmittelbare und mittelbare Ursachen unterscheiden. „Rache“ beschränkt die Verantwortung oft auf bestimmte Personenkreise wie Familie, den Clan oder Freunde.

Thomas Fischer fügt hinzu: „Schließlich kann man auch an der Frage anknüpfen, was, wie und warum eine Person mit dem – von ihr verursachten – Schaden/Erfolg zu tun hat und ob welche rechtlich relevanten „Pflichten“ sie möglicherweise verletzt hat. Aus der Wirklichkeit des Lebens entstehen auch Normativität und Moral, weil und indem sie die Realität strukturieren. Viele Menschen handeln (fast) stets mit „Sinn“, und menschliches Handeln hat daher nicht nur eine Wirkung in der physischen Außenwelt, sondern auch immer auch „Sinn“ in der Kommunikation. Quelle: „Über das Strafen“ von Thomas Fischer

Von Hans Klumbies