Die Auseinandersetzung mit dem Tod gehörte schon immer zum Leben

In der Frühzeit der Menschheit gab es noch keine Medizin, die sich um die Traumata der menschlichen Seele kümmern konnte. Man kann aber die Ansicht vertreten, dass religiöse Überzeugungen, Moralsysteme, Justiz und politische Regierungsführung im Wesentlichen auf diese Traumata abzielten und darauf, sich von deren Folgen zu erholen. Am engsten ist die Entwicklung religiöser Überzeugungen in den Augen von Antonio Damasio mit der Trauer über persönliche Verluste verknüpft, welche die Menschen zwang, sich mit der Unausweichlichkeit des Todes und den unzähligen Wegen, auf denen er sich einstellen kann, auseinanderzusetzen: Unfälle, Krankheiten, Gewalttaten und Naturkatastrophen – alles andere, nur nicht das hohe Alter, das in prähistorischer Zeit selten war. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

Bei persönlichem Leid bat man die Götter um Hilfe

Antonio Damasio erklärt: „Aber viele Traumata wurden der menschlichen Seele durch öffentliche Ereignisse beigebracht, und religiöse Überzeugungen waren hier in mehrfacher Hinsicht eine angemessene Reaktion.“ Die Reaktionen auf gewaltbedingte Verluste und Trauer sind vielfältig und hängen vom Thema ab; unter ihnen sind Empathie und Mitgefühl, aber auch Wut und erneute Gewalt. Antonio Damasio versteht, dass man der Trauer mit einer anpassungsfähigen Verstellung von übermenschlichen Kräften in Form von Göttern entgegentrat.

Diese Götter waren zur Lösung von Konflikten und einem hohen Maß an Gewalt fähig. In einer animistischen Phase der Kultur bat man solche Götter nicht nur bei persönlichem Leid um Hilfe, sondern man bat auch um den Schutz des persönlichen und gesellschaftlichen Eigentums – Getreide, Haustiere, lebenswichtiges Territorium. Später, in den monotheistischen Kulturen, nahmen die Gebilde, denen der Glauben galt, irgendwann die Form eines einzigen Gottes an, der beispielsweise Verluste auf logisch zu rechtfertigende, sogar akzeptable Weise erklärte.

Der Buddhismus strebt ein gleichmütiges Dasein an

Schließlich konnte das Versprechen einer Fortsetzung des Lebens nach dem Tod die unmittelbaren Folgen der Verluste gänzlich zunichtemachen und ihnen eine andere Bedeutung verleihen. Die Motivation religiöser Überzeugungen findet nirgendwo so einen klaren Ausdruck wie im Buddhismus. Sein Gründer, der scharfsinnige, gut informierte und philosophisch beschlagene Prinz Gautama, bezeichnete das Leiden als zersetzender Aspekt der menschlichen Natur und macht sich daran, es zu besiegen, indem er seine häufigste Ursache zurückdrängt.

Dabei handelt es sich um den Wunsch, mit beliebigen Mitteln im Vergnügen zu schwelgen, und die Unfähigkeit, sich solches Vergnügen regelmäßig zu verschaffen. Prinz Gautama schlug vor, das Leiden zu vermindern, in dem man den Ehrgeiz des egoistischen Ichs verringert und zu diesem Zweck aktiv ein gleichmütiges Dasein anstrebt, das größere Befriedigung verheißt. Auch die kühle Vernunft trug ihren Teil bei. Die wiederholte Begegnung mit Leiden, das durch Diebstahl, Lügen, Betrug und mangelnde Disziplin verursacht wurde, war ein starker Antrieb für die Erfindung von Verhaltenscodices, deren Empfehlungen und Praxis zu einer Verminderung der Leiden führten. Quelle: „Im Anfang war das Gefühl“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies