Niemand will etwas mit Konflikten zu tun haben

Jeder hat Konflikte. Niemand will sie. Deshalb wollen die meisten Menschen sie möglichst großräumig umfahren. Und wenn das nicht geht, hinter sich bringen oder gar lösen. Das ist mehr als verständlich, aber ziemlich unwahrscheinlich, wie Reinhard K. Sprenger meint: „Gesamtgesellschaftlich hält sich das Vorurteil, dass nur das harmonische Einverständnis der Menschen Zusammenhalt bietet. Konflikt gilt als das Gegenteil von Harmonie und Zusammenhalt, als die Negation des Miteinanders.“ Man will ihm aus dem Weg gehen oder ihn aus dem Weg schaffen. Das verkennt die magische Doppelwertigkeit des Konflikts. Natürlich sind Konflikte lästig. Im Grunde will niemand etwas mit Konflikten zu tun haben. Im Extremfall zerstören sie sogar Freundschaften oder Ehen. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

Weiterlesen

Michael Wolffsohn fordert den Mut zum Denken

Das neue Buch „Tacheles“ von Michael Wolffsohn ist nichts für Fachidioten oder eindimensionale Menschen. Der Autor redet nicht gern um den „heißen Brei“ herum. Sein Credo lautet: Erst denken, dadurch erkennen. Dann das Gedachte benennen und sich auch dazu bekennen. Somit Tacheles reden und schreiben. Auch wenn es nicht allen gefällt. Michael Wolffsohn fordert Mut zum Denken und Mut zum Aussprechen. Nicht taktisch denken, sondern faktisch lautet seine Devise. Er steht der Wahrheit unerbittlich zur Seite und räumt mit Klischees, Legenden und Lebenslügen in den politischen und historischen Debatten auf. Michael Wolffsohn kritisiert pointiert den aktuellen Antisemitismus in Deutschland. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

Weiterlesen

Die Kollapsologen sagen den Weltuntergang voraus

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 04/2020 befasst sich mit dem Thema „Kollapsologie“. Diesen Begriff werden die Wenigsten bisher gehört haben. Pandemien sind ein Glied in einer Ereigniskette, die in naher Zukunft zum Zusammenbruch führt. Das behauptet eine Bewegung aus Frankreich, die sich auf den Untergang der Zivilisation vorbereitet. Ihre Anhänger nennen sich Kollapsologen. „Schwerwiegende und irreversible Schocks können sehr wohl bereits morgen auftreten“, schreiben die Namensgeber der Bewegung, Pablo Servigne und Raphaël Stevens. Für den Soziologen Harald Welzer ist das eine unerträgliche Schwarzmalerei. Ein Diskurs, der ein endgültiges Scheitern der Menschheit für wahrscheinlich oder gar für ausgemacht erklärt, habe ausschließlich destruktive Folgen: „Die Leute werden umso eskapistischer und zerstörerischer, je näher das Ende ihnen vor die Nase gehalten wird.“

Weiterlesen

Friedrich Nietzsche verehrte Richard Wagner

In seinen neuen nie fertig gestellten „Unzeitgemäßen Betrachtung“ schreibt Friedrich Nietzsche: „Man verehrt und verachtet in jungen Jahren wie ein Narr und bringt wohl seine zartesten und höchsten Gefühle zur Auslegung von Menschen und Dingen dar, welche nicht zu uns gehören, so wenig als wir zu ihnen gehören.“ Später erschrickt man seiner Meinung nach zu entdecken, wie wenig man damals die Augen offen gehabt hat, als man auf diesen Altären opferte. Was diesen Satz prägt, ist laut Christian Niemeyer das Statement, er habe damals „im Geheimen“ angefangen, „über Richard Wagner zu lachen“, aber, da er noch nicht aufgehört hatte, ihn zu lieben, habe ihn sein eigenes Gelächter „noch ins Herz“ gebissen. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Weiterlesen

Der Faschismus fördert das Fortbestehen des Kapitalismus

Für den deutschamerikanischen Philosophen, Politologen und Soziologen Herbert Marcuse war der Faschismus in Deutschland kein Bruch mit der Vergangenheit. Er war seiner Meinung nach die Fortsetzung von Tendenzen innerhalb des Liberalismus, die das kapitalistische Wirtschaftssystem unterstützten. Für Stuart Jeffries sah so die orthodoxe Lehre der Frankfurter Schule aus: „Der Faschismus bedeute keine Abschaffung des Kapitalismus, sondern war vielmehr ein Mittel, sein Fortbestehen zu sichern.“ Der deutsche Sozialphilosoph Max Horkheimer schrieb einmal: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Vielleicht musste man Deutscher sein, um dieses Postulat widerspruchslos zu akzeptieren. Max Horkheimer musste vor den Nazis zuerst nach Genf fliehen. Zusammen mit Leo Löwenthal, Erich Fromm und Herbert Marcuse zog er nach Genf um, um zusammen mit ihnen ihre Arbeit fortzusetzen. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

Weiterlesen

Das Sein ist nichts weiter als ein Antworten

Viktor Frankl vertritt folgende These: „Nicht wir dürfen nach dem Sinn des Lebens fragen – das Leben ist es, das Fragen stellt, Fragen an uns richtet. Wir sind die Befragten.“ Die Menschen sind die, die da zu antworten haben. Antwort zu geben auf die ständige, stündliche Frage des Lebens, auf die „Lebensfragen“. Leben heißt für Viktor Frankl nichts anderes als Befragt-sein. Das Sein ist nichts weiter als ein Antworten – ein Verantworten des Lebens. In dieser Denkposition kann einen Menschen aber jetzt auch nichts mehr schrecken, keine Zukunft, keine scheinbare Zukunftslosigkeit. Viktor E. Frankl war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und 25 Jahre lang Vorstand der Wiener Neurologischen Poliklinik. Er begründete die Logotherapie, die auch Existenzanalyse genannt wird.

Weiterlesen

Die Kultur kann von einer störrischen Unnachgiebigkeit sein

In Reaktion auf eine soziale Ordnung, in der Kultur wahrhaftig allumfassend erschien, begannen einige postmoderne Theoretiker in den 1980er Jahren, die Lehre des Kulturalismus zu verbreiten, wonach der Mensch seiner gesamten Existenz nach Kultur sei. Terry Eagleton ergänzt: „Jede Erwähnung der Kultur wurde zutiefst suspekt, paradoxerweise ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als die Umweltbewegung auf der Bildfläche erschien.“ Wann immer in einem postmodernen Text das Wort „Natur“ auftaucht, ist es in der Regel von verschämten Anführungszeichen umrahmt. Menschen gelten nicht mehr als natürliche, materielle Tiere mit Bedürfnissen und Fähigkeiten, die ihnen als Art gemeinsam sind, sondern sie werden durch und durch zu kulturellen Geschöpfen. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Weiterlesen

Selbst denken kann gefährlich sein

In Kulturen, die von Traditionen geleitet werden, ist der Einzelne nicht aufgerufen, die gegebenen Lebensformen zu hinterfragen. Sondern er ist aufgefordert, sie zu erfüllen. Diese in Frage zu stellen, könnte sogar ausgesprochen gefährlich sein. Silvio Vietta erläutert: „Auch in der europäischen Kultur sind Fragende oft aus dem Lande gejagt, ins Gefängnis gesperrt, verbrannt worden. Nicht nur im Mittelalter, auch in den totalitären Phasen der Neuzeit.“ Noch tiefer als eine Frage setzt der Zweifel vorgegebene Formen des Denkens auf den Prüfstand. „Etwas bezweifeln“ heißt deren Richtigkeit in Frage zu stellen. Das ruft wiederum das Denken als eigenverantwortliches Prüfen von Sachverhalten auf den Plan. Vor allem die mittelalterliche Kirche hielt den Zweifel für etwas Gefährliches. Wer an Gott zweifelte, konnte schnell auf dem Scheiterhaufen landen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Weiterlesen

Das Grundgesetz garantiert das Recht auf Widerstand

Das neue Buch „Zivilcourage“ von Klaus-Peter Hufer handelt vom Mut zu Widerspruch und Widerstand. Zu Beginn nähert sich der Autor der Bedeutung des Wortes an, indem er das inhaltliche und begriffliche Feld definiert. Das Recht auf Widerstand ist ausdrücklicher Bestandteil des Grundgesetzes der Bundesrepublik. Folgendes Zitat von Kurt Tucholsky macht deutlich, dass es schon einer erheblichen Stärke bedarf, eine eigene, nicht allseits gebilligte Meinung zu haben und zu vertreten: „Denn nichts ist schwieriger und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ Wobei der Alltag viele konkrete Möglichkeiten bietet, Mut zu zeigen, „Nein“ zu sagen, beispielsweise um Menschen in Bedrängnis beizustehen. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

Weiterlesen

Steuersenkungen führen zu Haushaltsdefiziten

Die heutige Situation erinnert Joseph Stiglitz unwillkürlich an jene Zeit vor 40 Jahren, als die Rechte schon einmal einen Triumpf feierte. Auch damals schien es sich um eine weltweite Bewegung zu handeln. Ronald Reagan regierte in den USA, Margaret Thatcher in Großbritannien. Die Wirtschaftspolitik nach John Maynard Keynes, die auf der Annahme beruht, der Staat könne Vollbeschäftigung aufrechterhalten, indem er die Nachfrage steuert, wurde von einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik abgelöst. Diese setzt ihrerseits voraus, Deregulierung und Steuersenkungen würden die wirtschaftlichen Produktivkräfte entfesseln. So würden geeignete Anreize geschaffen, um das Angebot an Gütern und Dienstleistungen und in der Folge auch das Einkommen der Privatpersonen zu steigern. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

Weiterlesen

Das Wesen der Natur ist Verschwendung

Gesund leben zu wollen ist ein leicht nachvollziehbarer Wunsch. Doch dass es bei der Gesundheit immer auf die effizienteste Lösung ankommen soll, ist eine Ideologie. Richard David Precht erläutert: „Das Streben nach Effizienz ist dem Menschen nicht von Natur vorgegeben. Die Natur ist nicht effizient – ihr Wesen ist Verschwendung.“ Das eindimensionale Menschenbild des Viktorianismus, das auch Charles Darwin prägte, hat den Blick auf die biologische Natur einseitig verengt. Nichtsdestotrotz sehen Biologen und evolutionäre Psychologen noch heute überall „Strategien“, „Vorteile“ und „Kalkül“ der Natur am Werk, wo keine sind. Geht es nach ihnen, so besteht das Ziel tierischen Verhaltens vor allem darin, Energie zu sparen. Und das, wo die Natur als Ganzes eine einzige große sinnlose Verprassung von Energie ist. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Die Familie ist den Deutschen heilig

Der irische Managementpsychologe Charles Handy empfahl seinem Sohn, als er von dessen Heiratsplänen erfuhr: „Sei auf der Hut. Du wirst nicht nur die Liebe deines Lebens, sondern eine ganze Familie heiraten. Du solltest besser herausfinden, worauf du dich einlässt. Familien sind wichtig.“ Mittlerweile wird die „ganze Familie“ in einer Gesellschaft des langen Lebens immer unverzichtbarer. Horst Opaschowski erklärt: „Ob es uns gefällt oder nicht: Wir brauchen die Familie – für eine gemeinsame Zukunft. Unternehmen können uns kündigen. Nachbarn und Freunde ziehen weg, aber die Familie ist immer da, wenn man sie braucht.“ Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

Weiterlesen

Das Prinzip der Freiheit darf niemals aufgegeben werden

An dem für sie wesentlichen Prinzip der Freiheit zeigt die Moderne, dass sie kein schlechthin neues Ziel verfolgt, sondern eine anthropologisch Grundintention, eben die Freiheit, zur Blüte, am liebsten sogar zur Vollendung bringen will. Otfried Höffe warnt: „Wer das Prinzip Freiheit aufgibt, setzt also mehr als nur das Projekt der Moderne und Einsichten ihrer großen Denker aufs Spiel.“ Allerdings erweist sich die Freiheit samt Moderne als ein vielschichtiges, inneren Spannungen ausgesetztes, in mancher Hinsicht sogar widersprüchliches Ziel. Otfried Höffe versteht also die Freiheit als ein facettenreiches, intern spannungsgeladenes und von Widersprüchen durchwirktes Phänomen. Viele Vorhaben und Visionen, erneut sowohl der Menschheit im Allgemeinen als auch der Moderne im Besonderen, sind von einem Freiheitsgedanken inspiriert. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Mit der Wahrheit kamen der Irrtum und die Lüge in die Welt

Für Friedrich Nietzsche hat die „tragische Existenz“ des Menschen ihren Grund im menschlichen Glauben an die Wahrheit. Diese verband er mit der Leistung des Erkennens. Die „schrecklichste Minute der Weltgeschichte“ so meinte er, sein jene, „in der die Menschen das Erkennen erfanden“. Erst mit dem Erkennen komme die Wahrheit in die Welt – und mit ihr der Irrtum und die Lüge. Für Friedrich Nietzsche stand deshalb außer Zweifel, dass diese „klugen Tiere“, die das Erkennen „erfanden“ und sich bis heute „Menschen“ nennen, gar kein anderes Schicksal haben können, als „bald zu sterben“. Volker Gerhardt hält dagegen: „Das wahrhaft Tragische ist nur, dass wir diesen Glauben an die Wahrheit, trotz der Kritik Friedrich Nietzsches, gar nicht aufgeben können.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Weiterlesen

Der Tod ist etwas Unbedeutendes

Um die Angst vor dem Tod und vor der Vergänglichkeit zu überwinden, empfahl Seneca, den Tod als gleichgültig anzusehen und ihm keinen Wert beizumessen. Albert Kitzler erklärt: „Das entsprach der allgemeinen Lehre der Stoiker, wonach das einzig Wertvolle im Leben die Tugend sei.“ Synonyme für die Tugend sind Weisheit, innere Werte, der innere Frieden, der gute Wille. Alles Äußere dagegen soll der Mensch als belanglos für sein inneres Glück betrachten. Zum Äußeren zählt Seneca Besitz, gesellschaftliches Ansehen, Menschen oder Lebensumstände und den Tod. Auf diese Weise befreit man sich und sein seelisches Wohlbefinden von äußeren Zufälligkeiten. Zudem ist dies eine Befreiung von der Willkür anderer. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

Weiterlesen

Sanktionen sind nicht zwingend mit Normativität verbunden

Verhalten, das von einer in einer Gesellschaft jeweils gegebenen Norm abweicht, wird „negativ sanktioniert“. Das heißt mit ablehnenden, unangenehmen, auch ausgrenzenden Handlungen beantwortet. Umgekehrt wird normkonformes Verhalten „positiv sanktioniert“, also mit Zustimmung, Anerkennung oder sozialen Vorteilen belohnt. Das erscheint den meisten Menschen im Alltagsleben selbstverständlich, da der Grundsatz auf einer tiefen, naturnahen Ebene des Lebens angesiedelt ist. Thomas Fischer erläutert: „Er hängt unmittelbar mit der Normativität des Denkens und dem Verhältnis von Erwartungen und Vertrauen zusammen.“ Wie die Normativität ist auch die Sanktionierung von einer Vielzahl von Voraussetzungen abhängig. Die wichtigste ist, das die Personen, die Sanktionen vollziehen, auch die soziale Macht haben, solche Handlungen zu definieren. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Weiterlesen

Gelassenheit zeichnet sich durch Augenblicke der Unaufgeregtheit aus

Die mittelalterliche Gelassenheit ist eng mit der Steigerung der inneren Gelöstheit verbunden. Der Mensch sollte dabei geistig aus seiner Zeit heraustreten und auch jede Gebundenheit in einem Ort verlassen. Er sollte jedes eigene Wollen, jedes eigene Anliegen, jeden Zweck seines Wirkens hinter sich lassen. Paul Kirchhof erläutert: „Aber auch die mittelalterliche Ortlosigkeit, Abgeschiedenheit, nimmt den Menschen nicht fiktiv aus jedem geografischen Raum heraus, sondern meint die Haltung, stets aufmerksam für seine Bestimmung zu sein.“ Diese Wegweisung weist nicht alles Irdische von sich. Sie sieht den innerlich freien Menschen durchaus im Rahmen der sich entwickelnden Städte. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Weiterlesen

Deutschland hat seit 1990 eine beispiellosen Aufstieg hingelegt

Edgar Wolfrum erzählt in seinem neuen Buch „Der Aufsteiger“ die Geschichte Deutschlands von 1990 bis heute. Dabei handelt es sich um die erste historische Gesamtdarstellung der Berliner Republik. Eindringlich benennt der Autor die neuen Herausforderungen, Probleme und Erfolge der Innenpolitik, Sozialkultur und Außenpolitik. Nach der Wiedervereinigung von 1990 hat sich die Bundesrepublik zu einer kontinentalen Großmacht mit weltpolitischem Gewicht entwickelt. Um das Neue und den Wandel beim Aufstieg Deutschlands sichtbar zu machen, zieht Edgar Wolfrum immer wieder Vergleiche zur „alten“ Bundesrepublik heran. Das Neue reicht dabei von schleichenden Veränderungen im Parteiensystem oder der gesellschaftlichen Erregung bis hin zu den großen Fragen wie Krieg und Klimawandel. Trotz aller Probleme erscheint heutzutage Deutschland noch immer als ein stabiles Land. Vieles ist geglückt, und in vielem haben die Deutschen wiederum einfach nur Glück gehabt. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

Weiterlesen

Im Stoizismus ist eine Person in ihrem Denken autark

Das Thema Kränkung im engeren Sinne spielt in der Philosophie keine große Rolle. Wohl aber hatte diese zu den assoziierten Themen wie Enttäuschung, Verletzung und Demütigung einiges zu sagen. Reinhard Haller nennt ein Beispiel: „Der Stoizismus vertritt die Ansicht, dass die Gesellschaft gar nicht demütigen kann, weil eine Person in ihrem Denken autark ist.“ Im Stoizismus werden rational begründete Gefühle wie Kränkungen gar nicht zugelassen. Denn sie könnten ja das autonome Denken überwältigen. Da jede Person in ihrem Denken eigenständig ist, kann sie von anderen gar nicht gekränkt werden. Die stoische Apathie bedeutet aber kein Fehlen von Gefühlen, wie dies bei gemütslosen Psychopathen der Fall wäre. Selbst einem Sklaven sei es möglich, seine Gefühle vor dem Herrn zu verbergen und sie ganz allein zu besitzen. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.

Weiterlesen

Die Gleichsetzung von Technik und Glück ist eine Ideologie

Die glücklichsten Menschen der Welt leben nicht im Silicon Valley. Sie leben in Norwegen, gefolgt von Dänemark, Island und der Schweiz. Richard David Precht stellt fest: „Für ein Land, in dem die Zukunft gemacht wird, getreu dem Google-Motto „Do the right thing“, liegen die USA mit Rang vierzehn nicht allzu gut im Rennen.“ Tendenz seit zehn Jahren fallend. Der Weltglücksbericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2017 bescheinigt den Vereinigten Staaten sogar eine Fehlkonditionierung. Wer nur auf Wirtschaftszahlen schaue, der mache seine Gesellschaft unsolidarisch und misstrauisch. Zudem forciert dies die Korruption, den sozialen Unfrieden und die ethischen Konflikte. Dass die Technik dem Menschen im Laufe der Zivilisation viele gute Dienste geleistet hat, werden allerdings nur wenige bestreiten. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Markus Gabriel stellt den Funktionalismus vor

Der Funktionalismus nimmt im Allgemeinen an, dass die menschliche Intelligenz ein Regelsystem zur Datenverarbeitung ist. Dieses hat das Ziel, bestimmte Probleme zu lösen. Markus Gabriel fügt hinzu: „Dieses Regelsystem soll multipel realisierbar sein. Also auf verschiedene Hardware installiert werden können.“ Als Beleg fügen Funktionalisten etwa an, dass Sätze physisch betrachtet bei verschiedenen Menschen auf sehr verschiedene Weisen zustande kommen. Die eigene Stimme klingt beispielsweise anderes als eine andere, und im Detail sind auch die Gehirne ziemlich verschieden. Deswegen existiert die Unterstellung, dass es auf die Funktion und nicht die genaue Struktur der Hardware ankommt. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Weiterlesen

Für viele Menschen ist nur die eigene Religion die einzig wahre

Wenn man akzeptiert, dass eine Religion etwas Besonderes ist, das nicht unbedingt eines besonderen Schutzes bedarf, aber sowohl zur Freiheit als auch zur Rede in einer besonderen Beziehung steht, muss man entscheiden, was als eine Religion gilt. Timothy Garton Ash erläutert: „Für viele Menschen in der ganzen Menschheitsgeschichte und nicht wenige in unserer Zeit gab und gibt es nur eine wahre Religion: die eigene. Alles andere ist und wahr Ketzerei oder Aberglaube.“ Doch es gibt auch begrenzte gegenseitige Anerkennung, etwa zwischen Christentum, Judentum und Islam. Nach einem eher pragmatischen und säkularen Verständnis von Religion werden alle Gemeinschaften mit einer erheblichen Zahl von Anhängern, die sich als religiöse Gruppe oder in Bezug auf eine Religion definieren, als Religion anerkannt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Weiterlesen

Die Reichsfürsten hatten kein Interesse an einem deutschen Nationalstaat

Der Traum von der deutschen Nation ist älter als der deutsche Nationalstaat. Thea Dorn weiß: „Und diejenigen, die ihn träumten, waren mitnichten die deutschen Reichsfürsten.“ Im Gegenteil: Die Feudalherren im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation hatten wenig bis gar kein Interesse an einem deutschen Nationalstaat. Das Heilige Römische Reich deutscher Nationen hatte sich im 10. Jahrhundert unter der Dynastie der Ottonen herausgebildet und bestand auf dem Papier bis 1806. Den deutschen Reichsfürsten war viel mehr daran gelegen, unter dem Schutzmantel des Heiligen Römischen Reichs ihre lokale Macht auf den klein- und kleinstaatlichen Schollen zu erhalten. Der Träger und Verfechter des nationalen Gedankens in deutschen Landen war zuallererst das Bürgertum. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

Weiterlesen

Die moderne Philosophie wendet sich dem Menschen zu

Der englische Dichter Alexander Pope schreibt in seinem großen Lehrgedicht aus dem Jahre 1734 folgende Zeilen: „Erkenne dich selbst, versuche nicht, Gott zu durchschauen. Der wahre Forschungsgegenstand der Menschheit ist der Mensch.“ Laut Ger Groot war es Immanuel Kant, der diese Idee zum ersten Mal philosophisch explizit und richtungsweisend formulierte. Er beginnt seine Studie „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ mit dem Satz: „Alle Fortschritte in der Kultur, wodurch der Mensch seine Schule macht, haben das Ziel, diese erworbenen Kenntnisse und Geschicklichkeiten zum Gebrauch für die Welt anzuwenden. Aber der wichtigste Gegenstand in derselben, auf den er jene verwenden kann, ist der Mensch. Weil er sein eigener letzter Zweck ist.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Weiterlesen

Die Fähigkeit zur Gelassenheit wächst mit zunehmenden Alter

Die Zeit der Gelassenheit scheint mit dem Älterwerden verbunden zu sein. Das Kind sucht noch durch Beobachten und Nachahmen seinen Platz in der Familie und in seiner Gruppe. Der Jugendliche will seiner Generation zugehören, mittendrin im Geschehen sein. Paul Kirchhof erklärt: „Er entdeckt die wachsenden Fähigkeiten seines Denkens und Verstehens, seiner Körperkraft, seiner Argumentations- und Überzeugungskunst, seiner Chance, in seiner Gruppe aufzurücken.“ So bleibt er im Rudel, beginnt aber auch, sich innerlich zu entfernen. Er fängt an, Vorstufen der Gelassenheit zu üben. Wenn der Mensch dann in die Phase der beruflichen und studentischen Qualifikationen kommt, mehr er seine Fähigkeiten, findet seinen Platz in Weltlichkeit und Gesellschaft. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Weiterlesen