Die Reichsfürsten hatten kein Interesse an einem deutschen Nationalstaat

Der Traum von der deutschen Nation ist älter als der deutsche Nationalstaat. Thea Dorn weiß: „Und diejenigen, die ihn träumten, waren mitnichten die deutschen Reichsfürsten.“ Im Gegenteil: Die Feudalherren im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation hatten wenig bis gar kein Interesse an einem deutschen Nationalstaat. Das Heilige Römische Reich deutscher Nationen hatte sich im 10. Jahrhundert unter der Dynastie der Ottonen herausgebildet und bestand auf dem Papier bis 1806. Den deutschen Reichsfürsten war viel mehr daran gelegen, unter dem Schutzmantel des Heiligen Römischen Reichs ihre lokale Macht auf den klein- und kleinstaatlichen Schollen zu erhalten. Der Träger und Verfechter des nationalen Gedankens in deutschen Landen war zuallererst das Bürgertum. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

Hamburg war eine Hochburg des deutschen Patriotismus

Selbstverständlich spielten bei allem auch wirtschaftliche Interessen eine große Rolle. Bereits im späten 18. Jahrhundert hatten die damaligen Gewerbetreibenden keine Lust, dass ihre Waren alle paar Meilen am nächsten Zollhäuschen aufgehalten versteuert wurden. Es ist laut Thea Dorn kein Zufall, dass die reiche Kaufmannsstadt und freie Reichsstadt Hamburg eine der ersten Hochburgen des deutschen Patriotismus wurde. Im Jahr 1765 fand die Gründungsversammlung der bis heute existierenden „Hamburgischen Gesellschaft zur Förderung der Künste und nützlichen Gewerbe“ statt.

Die Deutschen konnten ihre nationale Identität zwischen 1770 und 1870 eben nicht auf eine politisch-staatliche Einheit gründen, sondern allein auf die verbindende Besonderheit ihrer Sprache und Kultur. Die frühen deutschen Nationalisten verstanden sich daher durchweg als Kulturpatrioten. Die Bourgeoisie, die damals in Preußen entstand, ist entscheidend von den protestantisch-hugenottischen Immigranten aus Frankreich geprägt worden. Diese Volksgruppe machte zeitweise ein Drittel der Berliner Gesamtbevölkerung aus.

Die deutsche Sprache und Kultur verband alle Heimatlosen

Die „neuen Preußen“ kapselten sich im späten 18. Jahrhundert mitnichten in ihrer kulturellen Identität als „Franzosen“ ein. Sie bildeten keine hugenottischen Parallelgesellschaften. Gewiss erleichterte es die Integration, dass die Hugenotten als überzeugte Protestanten im katholischen Frankreich blutig verfolgt worden waren und im vorwiegend protestantischen Preußen Zuflucht gefunden hatten. Eine noch entscheidendere Rolle dürfte jedoch gespielt haben, dass sich auch die meisten neuen Bildungsbürger ohne Migrationshintergrund als „entwurzelt“ empfanden.

Zum Band, das die Heimatlosen jeglicher Herkunft einte, wurde die deutsche Sprache, die deutsche Kultur. Zu welcher Blüte des Geisteslebens dies in Kombination mit der deutschen Kleinstaaterei führte, lässt sich daran ablesen, dass es um 1770 in Deutschland bereits vierzig Universitäten gab. In Frankreich waren es zur selben Zeit dreiundzwanzig. In England existierten zwar die bis heute weltweit führenden Eliteuniversitäten Cambridge und Oxford – aber das war es dann auch. Quelle: „deutsch, nicht dumpf“ von Thea Dorn

Von Hans Klumbies