Für viele Menschen ist nur die eigene Religion die einzig wahre

Wenn man akzeptiert, dass eine Religion etwas Besonderes ist, das nicht unbedingt eines besonderen Schutzes bedarf, aber sowohl zur Freiheit als auch zur Rede in einer besonderen Beziehung steht, muss man entscheiden, was als eine Religion gilt. Timothy Garton Ash erläutert: „Für viele Menschen in der ganzen Menschheitsgeschichte und nicht wenige in unserer Zeit gab und gibt es nur eine wahre Religion: die eigene. Alles andere ist und wahr Ketzerei oder Aberglaube.“ Doch es gibt auch begrenzte gegenseitige Anerkennung, etwa zwischen Christentum, Judentum und Islam. Nach einem eher pragmatischen und säkularen Verständnis von Religion werden alle Gemeinschaften mit einer erheblichen Zahl von Anhängern, die sich als religiöse Gruppe oder in Bezug auf eine Religion definieren, als Religion anerkannt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Mehr als eine Milliarde Menschen sind konfessionslos

Timothy Garton Ash weist darauf hin, dass die Kategorie „konfessionslos“ mehr als einen Milliarde Menschen umfasst, von denen sich sicher viele als Atheisten, säkulare Humanisten oder Agnostiker bezeichnen. In den Vereinigten Staaten, die die meisten Wettbewerber auf dem Markt der Religionen großzügig anerkennen, gilt auch die Scientology-Kirche als religiöse Organisation, eine Anerkennung, die durch eine Entscheidung der Steuerbehörde Internal Revenue Service offiziell besiegelt wurde.

In mehreren europäischen Ländern ist dies jedoch nicht der Fall, und in Deutschland wurde die Scientology-Kirche sogar vom Verfassungsschutz überwacht, weil die Sekte als Bedrohung für die freiheitliche Verfassungsordnung der Bundesrepublik eingestuft ist. Respekt ist einer der meistbenutzten und –missbrauchten Begriffe in der Debatte über Redefreiheit und Religion. „Seid nicht so verdammt höflich und respektvoll!“, hörte Timothy Garton Ash den (sehr höflichen) Atheisten Richard Dawkins seine Zuhörer in Kalifornien ermahnen.

Der Dalai Lama lehnt jeden exklusiven Wahrheitsanspruch ab

Karen Armstrong, die bekannte Expertin für vergleichende Religionswissenschaften, sagt genau das Gegenteil: „Das Prinzip der Redefreiheit beinhaltet den Respekt vor der Meinung anderer.“ Christopher Hitchens betonte, dass „die muslimische Forderung von Respekt allzu oft durch die glaubwürdige Drohung von Gewalt unterstrichen wird.“ Der Dalai Lama lehnt jeden exklusiven Wahrheitsanspruch ab, vertritt aber die Ansicht, dass „Säkularismus Respekt vor allen Religionen und auch vor Nichtgläubigen bedeutet.“

Der Philosoph Stephen Darwall unterscheidet zwei Arten von Respekt, die er als anerkennenden und bewertenden Respekt bezeichnet. In die Alltagssprache übersetzt, beinhaltet der erste Begriff den bedingungslosen Respekt, die man jeder Person schlicht und einfach deshalb schuldet, weil sie dieselbe Menschlichkeit und inhärente Würde besitzt wie man selbst. Bewertenden Respekt dagegen muss man sich verdienen, sei es durch die Überzeugungskraft einer Argumentation, die Schönheit eines musikalischen Auftritts, Großzügigkeit gegenüber den Armen oder Tapferkeit in der Not. Viele Menschen respektieren Gläubige im Sinne anerkennenden Respekts, nicht jedoch unbedingt die Inhalte ihres Glauben im Sinne bewertenden Respekts. Quelle: „Redefreiheit“ von Timothy Garton Ash

Von Hans Klumbies