Der Faschismus fördert das Fortbestehen des Kapitalismus

Für den deutschamerikanischen Philosophen, Politologen und Soziologen Herbert Marcuse war der Faschismus in Deutschland kein Bruch mit der Vergangenheit. Er war seiner Meinung nach die Fortsetzung von Tendenzen innerhalb des Liberalismus, die das kapitalistische Wirtschaftssystem unterstützten. Für Stuart Jeffries sah so die orthodoxe Lehre der Frankfurter Schule aus: „Der Faschismus bedeute keine Abschaffung des Kapitalismus, sondern war vielmehr ein Mittel, sein Fortbestehen zu sichern.“ Der deutsche Sozialphilosoph Max Horkheimer schrieb einmal: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Vielleicht musste man Deutscher sein, um dieses Postulat widerspruchslos zu akzeptieren. Max Horkheimer musste vor den Nazis zuerst nach Genf fliehen. Zusammen mit Leo Löwenthal, Erich Fromm und Herbert Marcuse zog er nach Genf um, um zusammen mit ihnen ihre Arbeit fortzusetzen. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

Typisch für die Frankfurter Schule war die aesopische Sprache

Aber es wurde schnell klar, dass dies nur eine Übergangslösung sein konnte. Lediglich Max Horkheimer hatte eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung für die Schweiz. Seine Kollegen mussten hingegen ihre Touristenvisa regelmäßig verlängern. Die Protagonisten der Frankfurter Schule erwogen Paris oder London als möglichen dauerhaften Standort. Doch Max Horkheimer war der Meinung, dass man in beiden Städten nicht vor dem Faschismus sicher wäre.

Typisch für die Frankfurter Schule war damals eine langfristige Festlegung auf aesopische Sprache. Also auf Worte oder Wendungen, die einem Außenstehenden eine harmlos klingende Bedeutung, dem Insider hingegen einen verborgenen Sinn vermitteln. Sehr wahrscheinlich war es dieser Hang, der Kritiker auf die Idee gebracht hatte, die Frankfurter Gelehrten seien eine Bande roter Gesellen, welche die akademische Welt von New York infiltriert hätten. Im Jahr 1923 hatten sich die Gründer der Schule beispielsweise von der Idee verabschiedet, ihr Institut als Institut für Marxismus zu bezeichnen, weil der Name zu provokativ war.

Die Gelehrten behielten auch in den USA ihre intellektuelle Unabhängigkeit

Während der 1930er Jahre fühlten sich viele Mitglieder des Instituts gedrängt, Pseudonyme zu verwenden, damit sich schreiben konnten. So zogen sie nicht die Aufmerksamkeit der Nazis auf sich. Zudem konnten sie sich mit der Bissigkeit ausdrücken, die mit ihrem Status als Gelehrte unvereinbar war. Stuart Jeffries weiß: „So publizierte Max Horkheimer als Heinrich Regius, Theodor W. Adorno als Hektor Rottweiler und Walter Benjamin als Detlef Holz.“ Im amerikanischen Exil sorgte Max Horkheimer dafür, dass die Gelehrten zu der Gesellschaft, in der sie lebten, Distanz wahrten.

Die Entscheidung, in deutscher Sprache zu veröffentlichen, versagte der Schule einen größeren Einfluss in den ganz überwiegend ausschließlich englischsprachigen USA. Solche Entscheidungen verhinderten zwar mit Sicherheit die Integration der Frankfurter Intellektuellen in die amerikanische Gesellschaft. Doch sicherten sie ihnen gleichzeitig die Art von intellektueller Unabhängigkeit, die sie ja von Beginn an angestrebt hatten. Wozu zweifellos der Umstand beitrug, dass man ein unabhängiges Einkommen hatte. Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries

Von Hans Klumbies