Die Kultur kann von einer störrischen Unnachgiebigkeit sein

In Reaktion auf eine soziale Ordnung, in der Kultur wahrhaftig allumfassend erschien, begannen einige postmoderne Theoretiker in den 1980er Jahren, die Lehre des Kulturalismus zu verbreiten, wonach der Mensch seiner gesamten Existenz nach Kultur sei. Terry Eagleton ergänzt: „Jede Erwähnung der Kultur wurde zutiefst suspekt, paradoxerweise ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als die Umweltbewegung auf der Bildfläche erschien.“ Wann immer in einem postmodernen Text das Wort „Natur“ auftaucht, ist es in der Regel von verschämten Anführungszeichen umrahmt. Menschen gelten nicht mehr als natürliche, materielle Tiere mit Bedürfnissen und Fähigkeiten, die ihnen als Art gemeinsam sind, sondern sie werden durch und durch zu kulturellen Geschöpfen. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Man hielt die Kultur für weit biegsamer als die Natur

Wer versuchte, auf die wichtigen Merkmale zu verweisen, die sie kraft ihrer gemeinsamen Zugehörigkeit zur Menschheit teilen, wurde beschuldigt, kulturelle Unterschiede im Namen eines fadenscheinigen Universalismus zu unterdrücken. Wirtschaftliche und politische Fragen wurden zu kulturellen umgebogen. Natürliche Anlagen und Wesensmerkmale mussten das Feld räumen, da man irrtümlich glaubte, sie würden zur Erstarrung in unveränderlichen Formen führen. Veränderungen galten als positiv an sich.

Im Klima des fortschrittlichen Kapitalismus schien alles plastisch, vorläufig, veränderbar, formbar, austauschbar zu sein. Und erstaunlicherweise hielt man die Kultur für weit biegsamer als die Natur. Terry Eagleton fügt hinzu: „Die störrische Unnachgiebigkeit der Kultur – die Tatsache, dass es viel leichter ist, Berge zu versetzen als den Sexismus auszurotten – wurde geflissentlich übersehen. Die stumpfsinnige Hartnäckigkeit bestimmter kultureller Gewohnheiten ließ man beiseite.“ In diesem Klima schien jede Gegebenheit, so wie der Körper eine Gegebenheit ist, als eine Art Skandal.

Es gibt gewisse universelle Wahrheiten oder Werte

Das menschliche Fleisch war jetzt ein Stoff, den es zu disziplinieren, zu schlagen, zu schmücken, zu beschriften und zu gestalten galt. Regionen des Planeten, die sich gegen die westliche Hegemonie zu wehren wagten, wurde ebenfalls in Formen gezwungen, die den Herren des Universums eher zusagten. Das Vorurteil, alles in der Welt sei kulturell, einschließlich Aderlass, Mont Blanc und Exitus durch Leberversagen, geht im Allgemeinen Hand in Hand mit dem Kulturrelativismus. Dieser Relativismus leugnet, dass es gewissen universelle Wahrheiten oder Werte gibt.

Vielmehr sind alle solche Behauptungen, auch die moralischer Art, relativ zu einer bestimmten Lebensform. Die Grundidee besagt, dass man, statt Kopfjäger zu verurteilen, versuchen sollte, sie zu verstehen. Und zwar, indem man solche Praktiken in ihren kulturellen Kontexten betrachtet. Wenn im Übrigen Handlungen akzeptabel werden, sobald man sie in ihrem kulturellen Zusammenhang beurteilt, müsste dies auch für das eigene Verhalten gelten. Terry Eagleton nennt Beispiele: „Dann wären die Kolonisierung anderer Nationen, das Führen globaler Kriege und die Vergiftung des Planeten nur Dinge, die sich aus der westlichen Kultur ergeben.“ Quelle: „Kultur“ von Terry Eagleton

Von Hans Klumbies