Timothy Snyder kritisiert die Politik der Unausweichlichkeit

Die Politik der Unausweichlichkeit beruht auf der Annahme, dass es keine Ideen gibt. Wer sich sklavisch der Unausweichlichkeit unterwirft, leugnet, dass Ideen von zentraler Bedeutung sind, und zeigt damit nur, dass er seinerseits dem Einfluss einer mächtigen Idee unterliegt. Der Leitspruch der Politik der Unausweichlichkeit lautet: „Es gibt keine Alternativen.“ Timothy Snyder kritisiert: „Wer das akzeptiert, leugnet, dass er als Individuum Verantwortung dafür trägt, geschichtliche Entwicklungen zu erkennen und verändernd einzugreifen. Er wird zum Schlafwandler, der seinem bereits markierten, vorab gekauften Grab entgegenwankt.“ Die kapitalistische Version einer Politik der Ungleichheit, in der der Markt an die Stelle der Politik tritt, schafft eine ökonomische Ungleichheit, die jeden Glauben an Fortschritt unterminiert. Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Yale University und Autor der Bücher „Über Tyrannei“, „Black Earth“ und „Bloodlands“.

Wladimir Putin geleitete Donald Trump zur Macht

Wenn soziale Mobilität zum Stillstand kommt, wird aus Unausweichlichkeit vermeintliche Ewigkeit und aus Demokratie eine korrupte Oligarchie. Der Oligarch erfindet das Märchen einer unschuldigen Vergangenheit, etwa unter Zuhilfenahme faschistischer Ideen, und bietet so Menschen in realer Not scheinbaren Schutz. Der Glaube, dass die Technologie im Dienst der Freiheit stehe, ebnet seinem Aufstieg den Weg. Die Zerstreuung ersetzt die Konzentration, die Zukunft wird von den Frustrationen der Gegenwart aufgesogen, die Ewigkeit wird zum täglichen Leben.

Timothy Snyder schreibt: „Der Oligarch springt aus der Welt der Fiktion in die der realen Politik und herrscht durch die Beschwörung von Mythen und der Inszenierung von Krisen. In den 2010er Jarhen geleitete eine solche Person, Wladimir Putin, eine andere, Donald Trump, von der Fiktion zur Macht.“ In Russland kam die Politik der Ewigkeit zuerst zum Einsatz, und die russischen Machthaber wussten sich und ihren Reichtum durch den Export dieser Politik zu schützen. Der Oligarch an der Spitze, Wladimir Putin, erwählte den faschistischen Philosophen Iwan Iljin zu seiner ideologischen Leitfigur.

Die Geschichte bietet stets Alternativen an

Zur Zeit Iwan Iljins, in den 1920er und 1930er Jahren, kennzeichneten den Faschismus drei Merkmale: Er feierte Wille und Gewalt statt Vernunft und Recht, er propagierte eine Führer, der auf geheimnisvolle Weise mit seinem Volk verbunden ist, und er betrachtete die Globalisierung als eine Verschwörung und nicht als ein Konglomerat von Problemen. Der heute als Politik der Ewigkeit in Zeiten der Ungleichheit wiederbelebte Faschismus dient den Oligarchen als Katalysator für den Übergang von öffentlicher Debatte zu politischer Fiktion, von einer Wahl, die diesen Namen verdient, zur Scheindemokratie und von der Herrschaft des Rechts zum autoritären Regime.

Die Geschichte geht immer weiter und stets bieten sich dabei Alternativen an. Iwan Iljin stellt eine dieser Alternativen dar. Er ist nicht der einzige faschistische Theoretiker, der im 21. Jahrhundert eine Renaissance erfuhr, aber der wichtigsten. Er ist ein Führer auf dem immer dunkler werdenden Weg in die Unfreiheit, der von der Unausweichlichkeit in die Ewigkeit führt. Timothy Snyder fordert daher, historisch zu denken. Wer dagegen die Ewigkeit akzeptiert, opfert seine Individualität und wird keine Handlungsoptionen mehr erkennen. Quelle: „Der Weg in die Unfreiheit“ von Timothy Snyder

Von Hans Klumbies