Francis Fukuyama stellt die Ideen Jean-Jacques Rousseaus vor

Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau hatte zwei separate Rezepte dafür, die Menschheit aus der Katastrophe der Ungleichheit und Gewalt herauszuführen. Das erste Wird in seinem „Gesellschaftsvertrag“ umrissen und bietet eine politische Lösung an. Durch sie sollten die Bürger infolge der Entstehung eines „Gemeinwillens“, der sie in republikanischer Tugend vereint, zur natürlichen Gleichheit zurückkehren. Sie kooperieren miteinander in einer politischen Union, die jedoch keine Unstimmigkeit und keinen Pluralismus duldet. Francis Fukuyama stellt fest: „Diese Lösung ist zu Recht als proto-totalitär bemängelt worden, da sie die Meinungsvielfalt unterdrückt und eine strenge Uniformität des Denkens erfordert.“ Das zweite Rezept ist nicht politischer, sondern individueller Art. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

Das erste Gefühl des Menschen war das seiner Existenz

In seinem unfertig gebliebenen Werk „Träumereien eines einsamen Spaziergängers“ versucht Jean-Jacques Rousseau den Bewusstseinszustand der ersten Menschen wiederzufinden. Das heißt von denjenigen vor der Entdeckung der Gesellschaft. Im „Diskurs über die Ungleichheit“ hatte er geschrieben, dass „das erste Gefühl des Menschen das seiner Existenz war“. Dieses Gefühl der Existenz erscheint in den „Träumereien“ als Empfindung des Überflusses und des Glücks. Dies geschieht dann, wenn ein Individuum versucht, das wahre Selbst unter den Schichten erworbener sozialer Empfindungen freizulegen.

Jean-Jacques Rousseaus Existenzgefühl sollte sich eines Tages in die heute so genannte gelebte Erfahrung verwandeln, die der zeitgenössischen Identitätspolitik zugrunde liegt. Der Genfer Philosoph nimmt also eine eindeutige Position zur menschlichen Natur ein. Er widerspricht der Behauptung des englischen Philosophen Thomas Hobbes´, dass der Mensch im Naturzustand gewalttätig, grausam und egoistisch sei. Ebenso widersprich der Aussage des englischen Philosophen John Lockes, dass der frühe Mensch bereits über Privateigentum verfügt habe.

Die Gesellschaft steht dem Glück des Menschen im Weg

Jean-Jacques Rousseau macht geltend, dass ein Ding namens Gesellschaft außerhalb des Individuums existiert. Dort gibt es eine Menge von Vorschriften, Beziehungen, Bestimmungen und Bräuche, die das Haupthindernis für die Verwirklichung des menschlichen Potenzials und des menschlichen Glücks sind. Diese Denkweise pflegen viele Menschen inzwischen so instinktiv, dass sie sich ihrer nicht mehr bewusst sind. Sie ist offenkundig im Fall des Teenagers, der eines Verbrechens angeklagt wird und sich mit den Worten verteidigt: „Die Gesellschaft ist schuld.“

In einem größeren Maßstab kommt diese Denkweise in den Anschuldigungen des russischen Präsidenten Wladimir Putins zum Ausdruck, der glaubt, dass die von den USA angeführte internationale Ordnung Russland zu Unrecht missachte. Deshalb versucht er, sie umzustürzen. Wie der Reformator Martin Luther zieht Jean-Jacques Rousseau eine klare Trennlinie zwischen dem inneren Selbst und der äußeren Gesellschaft, die Konformität mit ihren Regeln verlangt. Quelle: „Identität“ von Francis Fukuyama

Von Hans Klumbies