Der Westen muss seine eigenen Prinzipien formulieren

Die Praxis des westlichen Universalismus war den größten Teil seiner Geschichte alles andere als universell. Er schloss viele Menschen im eigenen Land und fast alle Menschen im Ausland aus. Die Frauen und die Mitglieder der „niedrigeren“ Gesellschaftsschichten wurden als Menschen zweiter Klasse behandelt. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, hielt sogar Sklaven. Timothy Garton Ash ergänzt: „Ab etwa 1500 manifestierte sich der westliche Universalismus für den größten Teil der Welt als Kolonialismus.“ Für einige hat sich diese Geschichte des westlichen Universalismus, der sich als Imperialismus manifestiert, bis in die heutige Zeit fortgesetzt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Es gibt globale und universelle Werte

Der Philosoph Ronald Dworkin vertritt einen glasklar rechtfertigenden Universalismus. Eine politische Moral müsse kulturelle Unterschiede zulassen, räumt Ronald Dworkin ein. Dennoch müsse sie auf Prinzipien beruhen, die universell seien, weil sie wahr seien. Der Liberalismus, die Version der politischen Moral, für die Ronald Dworkin eintritt, sei letztlich abgeleitet von der Wahrheit, die durch den Gebrauch der Vernunft ermittelt werden könne. Er sagt: „Wir müssen den Liberalismus aus dem Reich der objektiven, universellen Wahrheit importieren.“

Diese Wahrheit sei klar definiert und könne in der von der Aufklärung geprägten westlichen Denktradition mit den Instrumenten der Logik und der wissenschaftlichen Untersuchung im Licht der Gegenargumente und des vorliegenden Beweismaterials überprüft werden. Der Liberalismus sei universell, wie er wahr sei: „Wenn der Liberalismus überhaupt für jemanden wahr ist, ist er für alle wahr.“ Wenn er nicht für alle wahr wäre, wäre er für niemanden wahr. Auch für Timothy Garton Ash steht fest, dass es globale universelle Werte gibt.

Überall auf der Welt nehmen die Konflikte zu

Aber die meisten Menschen sind weit entfernt davon zu wissen, worin diese Werte bestehen. Globale universelle Werte werden den Menschen nicht gegeben, sie werden von ihnen geschaffen. Die Schaffung solcher Werte ist das große moralische Unternehmen der Menschheit. Die Menschen, die man unter dem Etikett „östlich“ auf einen Haufen wirft, hören dem Westen inzwischen, freiwillig und unfreiwillig, seit Jahrhunderten zu und lernen von ihm. Der Westen sollte sich für dieses Kompliment durch Übersetzung, Studium und gedankliche Arbeit revanchieren.

Timothy Garton Ash fordert: „Der andere Teil des Unternehmens, einen universelleren Universalismus anzustreben, besteht darin, unsere eigenen Prinzipien zu formulieren und sie so zu begründen, dass ein sinnvoller transkultureller Dialog möglich wird.“ Das Ziel besteht seiner Meinung nach nicht darin, sich über alles einzig zu sein, sondern dass man sich darüber einigt, wie man miteinander streitet. Diese Arbeit ist wichtiger denn je in einer verbundenen Welt voller rivalisierender Mächte und wachsender Konflikte. Quelle: „Redefreiheit“ von Timothy Garton Ash

Von Hans Klumbies