Bei der Gegenwart, so kann man lesen, handelt es sich um ein postfaktisches Zeitalter. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Ungeniert können Populisten Lügen verbreiten, ihre Anhänger wissen das und jubeln trotzdem oder vielleicht gerade deshalb.“ Dem Wahrheitsfreund graut, zumal er ja, so muss man den erschütterten Kommentaren zur „post-truth politics“ entnehmen. Denn er ist in einer Zeit groß geworden, in der Wahrheit in der Politik noch eine entscheidende Kategorie war und sich die Wähler an den besseren und faktengetreuen Argumenten orientierten. Natürlich stimmt diese in die Vergangenheit projizierte Idylle nicht. In der Politik wurde immer schon gelogen und immer schon haben die Anhänger diese Politik das augenzwinkernd akklamiert. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.
Im natürlichen Zustand gibt es nur Stärke und Schwäche
Im natürlichen Zustand gibt es weder Freiheit noch Unfreiheit, sondern nur Stärke und Schwäche. Und die Beherrschung der Schwachen durch die Starken. Christoph Menke erklärt: „Die Hervorbringung der Freiheit beginnt damit, dass dieser Zustand aufhört natürlich zu sein – oder natürlich zu scheinen – und die Abwesenheit der Freiheit als Unfreiheit erfahren wird.“ Nämlich als Negation der Freiheit, als Knechtschaft. Das macht diesen Zustand zu einem nichtnatürlichen; zu einem Zustand, in dem nicht frei zu sein heißt, der Freiheit beraubt zu sein. Mit dieser Erfahrung befinden sich die Menschen zum ersten Mal – in der Gesellschaft. Die erste wahrhafte Erfahrung eines nichtnatürlichen Verhältnisses, ist die Erfahrung der Unfreiheit. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Beim Lebensziel Glück entgleitet die Gegenwart
Wenn Menschen sagen, ihr Lebensziel sei es, glücklich zu sein, geben sie zu verstehen, dass sie unglücklich sind. John Gray ergänzt: „Da sie Glücklichsein als Projekt betrachten, können sie es nur in der Zukunft verwirklichen. Die Gegenwart entgleitet ihnen, und Angst schleicht sich ein.“ Sie fürchten, ihr Fortschreiten auf dem Weg zu dem künftigen Zustand könnten bestimmte Ereignisse stören. Also wenden sie sich der Philosophie und heutzutage der Therapie zu, die ihnen Linderung ihres Unbehagens versprechen. Indem sie sich als Heilmethode geriert, ist Philosophie ein Symptom der Störung, die sie zu beheben vorgibt. Andere Tiere haben es nicht nötig, sich von ihrer Befindlichkeit abzulenken. John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.
Nicht selten verdunkelt sich der Raum der Öffentlichkeit
Heutzutage ist nicht nur eine Abkehr von der Wahrhaftigkeit, sondern auch von der Unterscheidung zwischen Wahrheit und Unwahrheit überhaupt, zu beobachten. Juliane Rebentisch stellt fest: „Die Effekte dieser Abkehr, die mit einer offiziellen Geringschätzung der Welt und der Öffentlichkeit einhergehen, sind dramatisch.“ Denn durch diese Geringschätzung wird nicht nur die Frage, ob etwas wahr oder unwahr ist, ersetzt durch die nach den eigenen Interessen.“ Eine solche Umstellung wird vielmehr die Gemeinsamkeit der Welt, in der allein ihr Bestand gewahrt werden kann, zerfallen lassen. Hannah Arendt schreibt: „In der Geschichte sind Zeiten, in denen der Raum der Öffentlichkeit verdunkelt und der Bestand der Welt fragwürdig wird, nicht selten.“ Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.
Die Kultur bringt die Emanzipation hervor
Es ist, alles in allem, die Kultur, die dem Menschen die Chancen eröffnet, sich durch eigene Anstrengung von vorgegebenen Konditionen zu emanzipieren. Volker Gerhardt erklärt: „In der Regel ermöglicht man das auf diese Weise Erreichte durch Konventionen, durch sprachliche Variation oder durch das Recht, auf alternative Weise zu leben.“ Die unzähligen neuen Techniken, die der Mensch im Lauf seiner viertausendjährigen Entwicklung auf den Weg gebracht hat, sind auch Gegenstand seiner institutionellen Einordnung geworden. Im Gang der kulturellen Entwicklung ist es dabei immer wieder zu mehr oder weniger tiefgreifenden Einteilung der Menschen nach Ständen, Kasten oder Klassen gekommen. Dominierende Eroberer, Gottkönige und ihre Adlaten haben Menschen unterworfen, ausgebeutet und nicht selten wie bloße Waren behandelt. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Die Zukunft ist so real wie die Gegenwart
Florence Gaub vertritt in ihrem Buch „Zukunft“ die These, dass die Zukunft in den Gehirnen der Menschen so real ist wie die Gegenwart. Die Autorin schreibt: „Sie ist also nicht eine Zeit, die noch kommt, sondern ein individueller, kreativer, imaginärer und sinnlicher Prozess, bei dem eine zukünftige Realität erzeugt wird.“ Diese Fähigkeit bildet die Basis für Erwartungen, Entscheidungen und den freien Willen. Daher sind Menschen nicht nur Wesen, die durch ihre Fähigkeit zur Vernunft definiert sind. Sondern sie können gedanklich auch in die Zukunft reisen. Für Florence Gaub ist die Zukunft keine ferne Zeit, sondern etwas, das alle Menschen ständig erzeugen. Obwohl man das Wort Zukunft in der Regel in der Einzahl benutzt, ist sie eigentlich immer eine Vielzahl. Die Zukunft ist zudem alles, was sich Menschen über sie vorstellen können. Dr. Florence Gaub ist Politikwissenschaftlerin, Militärstrategin und Zukunftsforscherin. Sie leitet als Direktorin den Forschungsbereich NATO Defense College in Rom.
Der Mensch sollte mit der Natur nachhaltig umgehen
Katia Henriette Backhaus erklärt: „Nachhaltigkeit definiert sich über das Verhältnis von Mensch und Natur, das aus drei Perspektiven betrachtet werden kann.“ Die politische Perspektive fragt danach, wie man die Bedürfnisbefriedigung der Menschen zu ihrem Wohl und zum Wohl der Gemeinschaft organisieren kann. Dazu gehört auch der Gedanke an die nachhaltige Stabilisierung der politischen Ordnung. Die ökonomische Perspektive auf das Verhältnis von Mensch und Natur hingegen entspringt der Forderung nach dem „nachhaltigen Erhalt“ und der Sicherung eines nachhaltigen Ertrags. Natur betrachtet man dabei zunächst als Ressourcenlager, das als schützenswert gilt. Der Versuch, Ökologie und Ökonomie zusammenzudenken, prägt die Begriffshistorie der nachhaltigen Entwicklung. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.
Immer wieder stehen Staaten am Abgrund des Bankrotts
Glückliche Schuldner, die ihre Schuld begleichen, kommen voran. Wenn unglückliche Schuldner ihre Schuld nicht begleichen, sind ihre Gründe so vielfältig wie die unseligen Projekte, mit denen sie sich übernehmen. Nouriel Roubini stellt fest: „Das gilt nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Staaten. Wenn diese am Abgrund des Bankrotts stehen, benötigen sie jemanden, der sie auffängt und ihnen wieder Halt gibt.“ Dazu sind internationale Einrichtungen wie der Weltwährungsfonds und die Weltbank da. Diese sind stark genug, um die hohen wirtschaftlichen Kosten von Fehleinschätzungen, politischen Irrungen und Ungemach zu tragen. Auch wenn die Welt heute wohlhabender ist als je zuvor, ist ein starker Arm immer schwieriger zu finden. Nouriel Roubini ist einer der gefragtesten Wirtschaftsexperten der Gegenwart. Er leitet Roubini Global Economics, ein Unternehmen für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsanalysen.
Viele Menschen sind Knechte ihres Smartphones
Das Smartphone erweist sich als mobiles Arbeitslager, in dem sich viele Menschen freiwillig einsperren. Das Smartphone ist ferner ein „Pornophone“. Byung-Chul Han erklärt: „Wir entblößen uns freiwillig. So funktioniert es wie ein mobiler Beichtstuhl. Es setzt die sakrale Herrschaft des Beichtstuhls in einer anderen Form fort.“ Jede Herrschaft hat ihre eigenen Devotionalien. Der Theologe Ernst Troeltsch spricht von den „die Volksphantasie fesselnden Devotionalien“. Sie stabilisieren die Herrschaft, indem sie sie habitualisieren und im Körper verankern. Devot heißt unterwürfig. Das Smartphone etabliert sich als Devotionalie des neoliberalen Regimes. Als Apparat der Unterwerfung gleicht es dem Rosenkranz, der genauso mobil und handlich ist wie das digitale Gadget. „Like“ ist das digitale Amen. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Computer-Logik generiert scheinbar Sicherheit
Rebekka Reinhard behauptet: „Wer die verblödete Vernunft über die Welt stülpt, sieht alles gestochen scharf.“ Sämtliche Widersprüche sind bereinigt. „Schlecht“ und „falsch“ stecken akkurat zusammengefaltet im dafür vorgesehenen Kästchen, „echt“ und „wahr“ im Kästchen gegenüber. Und das sind noch zwei für „männlich“ und „weiblich“. Alles klar. Computer-Logik macht glücklich und kennt keine Angst. Angst haben nur Leute, die sich von inneren Zuständen leiten lassen. Computer-Logik weiß, wie man Sicherheit generiert. Katastrophen sind wie Krisen: einfach irre Neuigkeiten, die zum Alltag gehören wie die neueste Dramaserie. So schlimm kann eine Kernschmelze nicht sein, wenn man Tschernobyl jetzt streamen kann. Oder? Solange sie entweder nicht mehr oder noch nicht da ist, ist Zeit für weitere Serienerlebnisse. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.
Amazon entwickelte sich zu einem Monopol
Ein Monopol hat man nicht einfach, ein Monopol muss man wollen. Was hier zählt, ist zum einen der unbedingte Wille zur Skalierung, zum Groß-und-immer-größer-Werden, koste es, was es wolle. Hans-Jürgen Jakobs ergänzt: „Ein geradezu manisches Aufwärts-Vorwärts-Streben, das Investoren und Analysten begeistern muss. Üblicherweise rechnen diese Spezialisten haargenau die Zehntel beim Abweichen von den Prognosen aus.“ Das kann prompt zu Liebesentzug führen. Bei Welteroberungsplänen jedoch sind sie tolerant. Wie sonst ist zu erklären, dass sie den Visionen des einst hochdefizitären Online-Buchhändlers Jeff Bezos hingebungsvoll glaubten. Amazon entwickelte sich zu einem Monopol. Denn es wollte sich aus der Masse der ordentlich, nach den Regeln der Analysten vor sich hin verdienenden Unternehmen abheben. Hans-Jürgen Jakobs ist Volkswirt und einer der renommiertesten Wirtschaftsjournalisten Deutschlands.
Die Deutschen sind liberaler und friedlicher geworden
Innerhalb der letzten 30 Jahren sind die Mehrheit der Deutschen und der übrigen Welt deutlich fürsorglicher, liberaler und friedlicher, kurz: progressiver geworden. Dieser Wandel veranschaulicht allerdings nicht, warum am rechten Rand der deutschen Parteienlandschaft eine Lücke aufgeklafft ist. Diese besetzt jetzt eine neue Partei, die Alternative für Deutschland (AfD). Philipp Hübl blickt zurück: „Fast alle Länder und Kulturen haben in den letzten Jahrhunderten eine Entwicklung vom kollektivistischen Stammesmodell zu modernen Gesellschaftsnormen durchgemacht.“ Die Menschen legen mehr Wert auf Individualismus und universelle Gesetze, sodass der moralische Kompass immer weniger in Richtung Autorität und Loyalität ausschlägt. Fairness und Freiheit rückt in den Vordergrund, wie der amerikanische Anthropologe Alan Fiske zeigt. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).
Der Klimawandel und das Artensterben bedrohen die Menschheit
In seinem Buch „Dilemma“ beschreibt Gunther Mair zwei große Probleme, welche die Erde als Ganzes betreffen. Erstens ist das der Klimawandel, der die Menschheit in kurzer Zeit von einer geologischen Kaltphase in eine geologische Warmphase katapultieren könnte. Das zweite große Problem ist das Artensterben. Beide Arten der Veränderung, die des Klimas und die des Artenreichtums, sind bereits in der Vergangenheit mehrfach aufgetreten. Gunther Mair weiß: „Neu und damit bedrohlich sind das für geologische Verhältnisse ungeheure Tempo, in dem sich die Veränderungen vollziehen.“ Hinzu kommt die Tatsache, dass die Menschheit als Verursacher die katastrophalen Folgen der Zerstörung der Lebensgrundlagen vorhersieht und teilweise bereits spüren kann. Dr. Gunther Mair arbeitete als promovierter Chemiker in der chemischen Großindustrie und entdeckte dort sein Interesse für die Klimagasproblematik.
Das Herz gilt als Metapher des Begehrens
Die zweite Zeile von Friedrich Nietzsches „Mitternachtslied“ lautet: „Was spricht die tiefe Mitternacht?“ Der Mensch in all seiner Vielgestaltigkeit und Unbestimmtheit ist nicht nur der einfache Adressat dieses Anrufs, er ist auch in diesem „Was“ unbedingt angesprochen. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Die Stimme der Mitternacht verspricht Auskunft über die existenzielle Befindlichkeit, über die individuellen Nöte des Menschen. Denn diese Mitternachtsglocke hat, wie Zarathustra seinen Gefährten erläutert, die „Herzens-Schmerzens-Schläge“ im Hintergrund.“ Der Herzschlag synchronisiert sich mit dem Glockenschlag. Und beide verdichten sich zu einem Schmerz, der sich weniger auf ein organisches Leiden als vielmehr auf eine fundamentale Grundbefindlichkeit des Menschen bezieht. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.
Die Gesellschaft ist nicht gebildet sondern eingebildet
Auch wenn zunehmend neue Bildungskonzepte entstehen, hat man es größtenteils mit einer Gesellschaft zu tun, die einen traditionellen Ansatz der Bildung verfolgt. Dort manifestiert man Absolutheiten. Man legt keinen Wert auf das Lernen, das Miteinander oder das Wohl der zukünftigen Generationen. Sondern man fördert ausschließlich die Optimierung eines Individuums, die Vorbereitung auf Karriere und Wettkampf. Anders Indset kritisiert: „So sind wir eingebildet. Unsere Gesellschaft ist eingebildet. Wir meinen, wir seinen gebildet. Doch letztlich bilden wir uns das nur ein.“ Der Begriff „Bildung“ ist ausgehöhlt, nichtssagend. Er ist tragischerweise zu einem prätentiösen Begriff geworden. Man kokettiert und schwadroniert mit ihm. Es fallen Aussagen wie „Bildungsrepublik“, „Wir müssen mehr in Bildung investieren“, „Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg“. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.
Fortschritt ist ein zweischneidiges Schwert
Der Medienethiker Paul Virilio prognostiziert in seinen Essay „Rasender Stillstand“ die Auslöschung der menschlichen Zivilisation durch deren erfundene Technologien. Rüdiger Maas weiß: „Virilio ist dabei aber kein Technologiekritiker. Ganz im Gegenteil. Die Folgen des technologischen Fortschritts betrachtet er als positiv, nur wurden die Heilsversprechen um positiven technologischen Folgen zur Propaganda.“ Das Problem dabei ist, dass man bei all den Versprechen der permanenten technologischen Weltverbesserung die negativen Folgen der Technologie außer Acht lässt. Denn Fortschritt ist ein zweischneidiges Schwert. Oder wie es Virilio ausdrücken würde: „Die Erfindung des Schiffs war gleichzeitig die Erfindung des Schiffwracks.“ Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa fordert von den Menschen daher Entschleunigung. Rüdiger Maas studierte in Deutschland und Japan Psychologie. Er ist Gründer und Leiter eines Instituts für Generationenforschung.
Cancel Culture zieht sich durch die Kulturgeschichte der Menschheit
Cancel Culture ist ein uraltes Phänomen, das sich durch die Kulturgeschichte der Menschheit zieht. Dazu zählen Praktiken, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, deren Auffassungen von den eigenen in störender Weise abweichen. Julian Nida-Rümelin stellt fest: „Manchmal sind diese Praktiken todbringend, wie in den Ketzerprozessen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Neben der Androhung oder Vollstreckung des physischen Todes gibt es die Praxis des sozialen Todes, des nachhaltigen Ausschlusses aus der Gemeinschaft.“ Im Römischen Imperium war die Verbannung neben der Ermordung ein bei Kaisern und anderen Potentaten beliebtes Instrument der Cancel Culture. Auch das Scherbengericht in den griechischen Stadtstaaten zählt dazu. Es zwang beispielsweise Alkibiades, den Feldherren und lange Zeit Liebling der Athener, mitten im Krieg gegen Syrakus zum Abbruch seiner militärischen Mission und zur Rückkehr nach Athen. Dort musste er sich vor einem Tribunal verantworten. Julian Nida-Rümelin gehört zu den renommiertesten deutschen Philosophen und „public intellectuals“.
Resilienz steht im Gegensatz zu Immunität
Die Fähigkeit, Krisen zu überstehen, trägt die Vulnerabilität in sich. Resilienz geht bei Friedrich Nietzsche hervor aus einer real erfahrenen Verwundung. Und sie sensibilisiert das Bewusstsein für die grundsätzliche Krisenanfälligkeit der menschlichen Existenz. Denn Erschütterungen sind unausweichlich. Sie lassen sich nicht verhindern, sondern nur überstehen. Svenja Flaßpöhler stellt fest: „Damit steht die Resilienz in einem interessanten Gegensatz zu einer anderen Form der Abwehrkraft: der Immunität. Wer immun ist, ist unangreifbar. Krankheit und Krise fechten den Immunisierten gar nicht an.“ Übertragen auf gesellschaftliche Systeme, steht die Immunität für starke Außenmauern und eine rigide Sicherheitspolitik. Was dem Organismus zu schaden droht, wird unschädlich gemacht. Resilienz, so könnte man zugespitzt sagen, ist das demokratische Prinzip der Krisenbewältigung. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“.
Angst ist in der Politik ein Tabu
Wenn Politiker über ihre Fehler sprechen, ist es ein bisschen so, wie wenn man Kandidaten im Bewerbungsgespräch nach ihren Schwächen fragt. Sie sagen irgendetwas, das so klingt wie eine Schwäche, aber in Wahrheit eine Stärke ist. Helene Bubrowski nennt Beispiele: „Ungeduld ist ein Klassiker oder: Ich bin so streng mit mir.“ Beliebt ist auch die Ausflucht in Koketterie. Angst ist in der Politik ein Tabu. Jeder Politiker trägt sie mit sich herum, aber man versteckt sie in der Handtasche, dem Aktenkoffer, Jutebeutel oder Rucksack. Wer würde schon einen Angsthasen wählen? Die meisten Politikberater geben die übliche Empfehlung, sich möglichst unangreifbar zu geben. Das hat auch einen Preis, den man nicht übersehen darf: Die Sprache wirkt seelenlos, sie kommt nicht mehr bei den Leuten an. Helene Bubrowski arbeitet als Politikkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Berliner Hauptstadtbüro.
Stammesmentalität hindert oft beim klaren Denken
Menschen denken in Gruppen und drehen in Gruppen durch. Doch um wieder zu Sinnen zu kommen, ist jeder auf sich gestellt. Philipp Hübl weiß: „Unsere Stammesmentalität hindert uns oft am klaren Denken.“ Mit der progressiven Revolution legen viele Menschen insgesamt weniger Wert auf Autorität und Loyalität und sind dadurch weltweit weniger kollektivistisch. Doch gerade im Internet kann man eine „Retribalisierung“ beobachten, nämlich die Ausbildung moderner Stämme und die Radikalisierung der Etablierten. Es kämpfen neue Rechte gegen alte Linke, Veganer gegen Fleischesser, Fahrradfahrer gegen Autofahrer, Impfgegner gegen Naturwissenschaftler, Gläubige gegen Atheisten. Denn wer aus dem Blickwinkel seiner Stammesidentität lange genug hinschaut, entdeckt immer irgendwo Nachteile für die eigene Gruppe und moralische Verstöße bei den anderen Gruppen. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).
La Sagrada Familia ist das weltbekannte Wahrzeichen Barcelonas
Im handlichem Taschenformat präsentiert der Baedeker SMART-Reiseführer alle wichtigen Sehenswürdigkeiten Barcelonas in fünf Kapiteln. Alle touristischen Highlights der spanischen Metropole jedes Abschnitts sind in drei Rubriken gegliedert. Einzigartige Touristenattraktionen sind in der Liste der Top 10 zusammengefasst und zusätzlich mit zwei Baedeker-Sternen gekennzeichnet. Zu den Topzielen zählen die La Sagrada Familia. Die Kathedrale, deren Bau bis heute noch nicht abgeschlossen ist, zählt zu den weltbekannten Wahrzeichen Barcelonas. Ebenso berühmt ist La Rambla, die Flaniermeile, auf der sich Touristen aus aller Welt tummeln. Ebenso lohnenswert ist ein Besuch des gotischen Viertels, Barri Gòtic, dessen prachtvolle Architektur von der Blütezeit Kataloniens als Mittelmeermacht zeugt. Vom Park Güell hat man einen Traumblick über Barcelona. Gaudís Märchenpark begeistert mit dorischen Säulen, schrägen Arkaden und Drachenfiguren.
Komplexe Dinge sind vielschichtig
Der Alltag kann kompliziert sein. Das wissen fast alle Menschen. Die Beziehung. Die Bedienung des neuen Telefons. Die Steuererklärung. Im Englischen spricht man von „a lot of moving parts“. Dirk Brockmann erläutert: „Wenn also verschiedene Teile gleichzeitig in Bewegung sind, voneinander abhängen, Einfluss aufeinander üben und man schnell den Überblick verliert, dann ist etwas kompliziert.“ Aber sind komplizierte Dinge auch komplex? Und umgekehrt komplexe Systeme zwangsläufig kompliziert? Das Wörterbuch leitet „komplex“ aus dem Lateinischen ab: cum = miteinander, plectere = flechten. Es bedeutet also „verflochten, vielschichtig“. Ein komplexes System besteht aus verschiedenen Elementen, die miteinander verbunden sind. Und sie bilden wie Flechtwerk eine Struktur, die man in den Einzelelementen nicht erkennen kann. Der Komplexitätswissenschaftler Dirk Brockmann ist Professor am Institut für Biologie der Berliner Humboldt-Universität.
Manchmal entsprechen die eigenen Vorstellungen nicht der Realität
Es kommt vor, dass Dinge den Vorstellungen nicht entsprechen, die Menschen sich von ihnen machen. Eine davon abweichende Realität zu akzeptieren, kann schwerfallen, auch wenn sie nicht zu leugnen ist. Wilhelm Schmid nennt ein Beispiel: „Im Privaten kann beispielsweise ein Ärger, der gemäß der Vorstellung von einer harmonischen Beziehung nicht vorkommen sollte, aus diesem Grund auch nicht bewältigt werden.“ Den verengten Blick etwas zu erweitern, sodass mehr Realität darin Platz hat, könnte Beziehungen alltagstauglicher machen. Schließlich ist eine Verengung möglich, weil Dinge den eigenen Interessen nicht entsprechen. Zwar liegt es nahe, den täglichen Strom von Informationen zügig nach dem Prinzip zu kanalisieren: „Das geht mich etwas an, jenes nicht.“ Beziehungen jeder Art sind jedoch darauf angewiesen, Informationen über die Interessen anderer an sich herankommen zu lassen. Wilhelm Schmid lebt als freier Philosoph in Berlin.
Das Böse geht der Menschheit nicht verloren
In der griechischen Mythologie sind die Menschen ihren Ursprüngen entkommen, wie man einer Katastrophe entgeht. Aber sie brauchen sich nicht darum zu sorgen, dass ihnen das Böse verloren gehen könnte. Rüdiger Safranski stellt fest: „Es kehrt stets wieder – in veränderter Gestalt. Wie bei den Göttern, gibt es auch beim Bösen einen Gestaltwandel.“ Das „Böse“ ist kein Begriff. Nur ein Name. Ein Name wofür? Für vielerlei: für das Barbarische, die Gewalt, Realitätszerstörung. Aber neuerdings auch für das Chaos, den Zufall, die Entropie, die undurchschaubare und unberechenbare Komplexität. Was das Entscheidende ist: Das „Böse“ hat aufgehört, lediglich ein Name zu sein für das im engeren Sinne Moralische. Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.
Niemand muss auf jede Form des Genusses verzichten
Das Titelthema des Philosophie Magazins 02/2024 lautet: „Was brauche ich wirklich?“ Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt: „Die Sehnsucht nach einer minimalistischen Existenz, die ganz genau zwischen Notwendigem und Überflüssigem zu unterscheiden weiß, ist gerade am Beginn des neuen Jahres groß.“ Insbesondere angesichts des Klimawandels und seiner für die Menschheit schwerwiegenden Folgen ist klar: So, wie wir leben, kann es nicht weitergehen. „Was wir wirklich brauchen“ ist eine Frage der Bedürfnisse des Menschen. Unter einem Bedürfnis versteht man einen subjektiv empfundenen Mangelzustand. Auf den ersten Blick scheint die Sache relativ einfach. Die wichtigsten und damit wirklichen Bedürfnisse sind all jene, wie wir als Menschen notwendig zum Leben brauchen. Also Nahrung, eine Behausung und etwas Warmes zum Anziehen. Heißt das, dass man auf jede Form des Genusses verzichten muss? Das wäre zu kurz gedacht. Herbert Marcuse betont in „Triebstruktur und Gesellschaft“ die befreiende Kraft der Kunst und des Genusses.