Die moderne Gesellschaft bringt unangenehme Grenzgänger hervor

Der Publizist Roger Willemsen hat 2016 in seinem Essay „Wer wir waren“ die Gegenwart aus der Zukunft betrachtet. Darin beschrieb er eine Gesellschaft der Ruhelosen, die sich im Kampf um Aufmerksamkeit befindet. Hadija Haruna-Oelker erläutert: „Er sah die Menschen mit der Frage konfrontiert, wie eine Person sich nicht von der Flüchtigkeit der Nachrichten, dem beschleunigten Leben und dem Rasanten unseres Alltags verunsichern lässt.“ Er zeigte zudem, wie in der Gesellschaft alles in Großaufnahme und aus äußersten Steigerungsformen besteht. Menschen horten dabei ein schlechtes Gewissen, weil sie so vieles wissen müssten, was sie nicht wissen. Und schließlich bringt Disziplin und Leistungsfähigkeit auf allen Feldern viele unangenehme Grenzgänger hervor, sodass sich die Frage stellt: Was kann man dagegen tun? Hadija Haruna-Oelker lebt als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Hauptsächlich arbeitet sie für den Hessischen Rundfunk.

Hadija Haruna-Oelker macht bei manchen Debatten nicht mehr mit

Gutes Leben, Resilienz, Achtsamkeit, das sind alles Dinge, über die Menschen Ratgeber kaufen, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Für Hadija Haruna-Oelker persönlich heißt die Antwort, bei bestimmten Kreisläufen, Abläufen und Debatten nicht mitzumachen. Sondern sie möchte im eigenen Tempo ein Mit-Fühlen für andere in sich wachsen lassen, ohne Druck, ganz organisch. Sie folgt dabei dem Appell von Roger Willemsen an die nächste Generation, sich nicht einverstanden zu erklären mit dem, was jetzt passiert.

Und so machen es Hadija Haruna-Oelker ihre gewonnene Selbstwahrnehmung und ihr Selbstverständnis in manchen Räumen möglich, sich heute mit ihrer Haltung und Einstellung freier zu bewegen als früher: „Dabei Geduld mit mir und mit anderen zu haben, das übe ich. Ich weiß, dass ich nicht alles wissen kann, weil ich manche Erfahrungen nie machen werde, aber ich bin offen für ein Verlernen.“ Diese Haltung gibt ihr Mitte und Balance, und damit beruhigt sie sich, wenn sie den Druck verspürt, es allen recht machen zu wollen und zu sehen, dass es nicht immer geht.

Hadija Haruna-Oelker denkt über gesellschaftliche Konstruktionen nach

Deshalb zählt bei Hadija Haruna-Oelker für sich selbst und bei anderen der Wille dazu, sich nicht mit Nicht-Wissen zu begnügen. Oder andere dafür verantwortlich zu machen für das, was sie nicht wusste. Das heißt für sie, immer wieder Informationen in sich aufzunehmen, was anstrengend sein kann, darum sollte es freiwillig passieren. Es ist ein selbstbestimmter Prozess, den sie als gesellschaftliche Aufgabe für die gemeinsame Zukunft sieht. Veränderung entwickelt sich aus einer Entscheidung heraus, und sie kann nur passieren, wenn sie den Fokus darauf hält.

Dann kann Neues geschehen – in einem selbst und deshalb auch in der Gesellschaft. Aus dieser Perspektive des Zuhörens, Lernens und vielleicht Umdenkens findet Hadija Haruna-Oelker Nachdenken über gesellschaftliche Konstruktionen. Und sie verzeiht sich Fehler, um weiterzugehen, weil sie weiß, dass sie Lernende und Lehrende ist. Das bedeutet für sie, Verunsicherung oder Fehltritte als Chance zu verstehen. Und nicht nur Informationen, Überraschendes und Ungewohntes in sich aufzunehmen, sondern auch abzuwarten, was sich in ihr rührt. Quelle: „Die Schönheit der Differenz“ von Hadija Haruna-Oelker

Von Hans Klumbies