Die Politik muss für das Wohlgefühl der Bürger sorgen

Das Potenzial, mithilfe abstrakter Vorstellungen gemeinsame Ziele und Perspektiven zu entwickeln und dadurch Verbundenheit und Identität zu fördern, besitzt auch die Politik. Hans-Otto Thomashoff kritisiert: „Aber sie lässt es bei uns seit Jahrzehnten weitgehend ungenutzt.“ Dabei kann Politik Hoffnungen wecken, Visionen, für die die Menschen bereit sind, sich einzubringen. Was als Idee beginnt, kann, einmal entfacht, zu einer Neugestaltung gesellschaftlichen Miteinanders werden, zu einer Revolution – im Guten wie im Schlechten. Eine zukunftsorientierte Politik sollte bewusst und gezielt an der Weiterentwicklung der Gesellschaft arbeiten. Hierzu muss sie Anstoß geben zum Fantasieren, zum Diskutieren und zum konkreten Umsetzen. Sie sollte berücksichtigen, was Menschen brauchen, um sich im Leben wohlzufühlen. Und das ist eben mehr als nur die Absicherung der wirtschaftlichen Existenz. Hans-Otto Thomashoff ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse in eigener Praxis in Wien.

Jeder Mensch kann seine eigenen Werte definieren

Hans-Otto Thomashoff weiß: „In der Politik geht es unweigerlich um Werte. Sie propagiert Werte und orientiert sich dabei an den Wertvorstellungen der Bürger.“ Um in diesem wechselseitigen Prozess einen Wertewandel in Gang zu bringen, kann man demnach bei sich selbst beginnen. Aus der Umweltbewegung entstanden die Grünen. Eine bewusste Definition der eigenen Werte ist jedem Menschen möglich. Statt Konsum und Daueraction kann man dabei die wesentlichen Aspekte der Hirnforschung für ein erfülltes Leben berücksichtigen.

Dadurch stellt sich trotz aller Höhen und Tiefen ein Gefühl ein, dass das eigene Leben stimmig verläuft. Und jeder kann dieses Wissen mit anderen teilen, bis es Allgemeingut geworden ist. Hans-Otto Thomashoff erklärt: „So können und sollten wir damit beginnen, unsere Gesellschaft an unseren eigentlichen Bedürfnissen auszurichten. Die enorme Flexibilität unseres Denkens macht es möglich, dass wir mithilfe unserer abstrakten Vorstellungskraft neue gesellschaftliche Perspektiven entwickeln.“

Die Politiker scheinen eine eigene Kaste zu sein

Kultur ist wandlungsfähig. Anstatt den Wandel dem Zufall zu überlassen oder denen, die am lautesten schreien, sollten Menschen gemeinsam an einer zielgerichteten Weiterentwicklung arbeiten. Andernfalls droht, dass sich die Künstliche Intelligenz (KI) zur entscheidenden Größe auf unserem Planeten entwickelt. Wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht, tut sich die Politik schwer, weil sie in kurzfristigen Zeiträumen denkt und verhaftet ist.

Krisenbewältigung, die immer öfter notwendig ist, weil keine vorausschauenden Vorkehrungen getroffen worden sind, dominiert das Geschehen. Der Blick auf die jüngsten Umfragen und nächsten Wahlen hat ebenfalls Vorrang. Hans-Otto Thomashoff beanstandet: „Strukturen, die es dem Bürger ermöglichen, bei den Politikern Gehör zu finden, existieren kaum, am ehesten noch auf lokaler Ebene.“ So bleibt den Bürgern nur, sich zusammenzutun, um bei ihren Politikern Gehör zu finden. Allerdings bestärkt das den Eindruck von Politikern als eigene von den Bürgern getrennte Kaste. Quelle: „Mehr Hirn in die Politik“ von Hans-Otto Thomashoff

Von Hans Klumbies