Die meisten Gemeinschaften sind exklusivistisch orientiert

Richard Rorty schreibt: „Die Frage, ob es Überzeugungen und Wünsche gibt, die allen Menschen gemeinsam sind, ist ziemlich uninteressant, wenn man nicht von der Vorstellung einer utopischen, inklusivistischen Menschengemeinschaft ausgeht, die nicht mit der Entschiedenheit, mit der sie Fremde ausschließt, stolz ist, sondern auf die Verschiedenheit der Arten von Menschen, die sie willkommen heißt.“ Die meisten menschlichen Gemeinschaften sind jedoch exklusivistisch orientiert. Ihr Identitätsgefühl und das Selbstbild ihrer Angehörigen beruhen auf ihrem Stolz darauf, bestimmten Arten von Menschen nicht anzugehören. Nämlich denen, die den falschen Gott verehren, die falschen Nahrungsmittel essen oder irgendwelche anderen abwegigen, abstoßende Überzeugungen oder Wünsche haben. Richard Rorty (1931 – 2007) war einer der bedeutendsten Philosophen seiner Generation. Zuletzt lehrte er Vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University.

Das Streben nach Wahrheit gehört zur demokratischen Politik

Die Philosophen würden sich nicht bemühen nachzuweisen, dass bestimmte Überzeugungen und Wünsche in jeder Gesellschaft zu finden sind, wenn sie nicht die Hoffnung hätten, zeigen zu können, dass das Vorhandensein dieser Überzeugungen die Möglichkeit oder die Verpflichtung zum Aufbau einer den ganzen Planeten umfassenden inklusivistischen Gemeinschaft beweist. Richard Rorty verwendet den Begriff „demokratische Politik“ als Synonym für den Versuch, eine solche Gemeinschaft hervorzubringen. Er erklärt: „Zu den Wünschen, die von Philosophen, denen die demokratische Politik am Herzen liegt, als universell hingestellt werden, gehört das Streben nach Wahrheit.“

Bisher haben diese Philosophen die Behauptung, es bestehe allgemeine Übereinstimmung unter den Menschen hinsichtlich der höchsten Erwünschtheit der Wahrheit, im Regelfall mit zwei weiteren Prämissen verknüpft. Richard Rorty ergänzt: „Nämlich mit der These, dass Wahrheit nichts anderes ist als Übereinstimmung mit der Realität, sowie mit der These, dass die Realität ein intrinsisches Wesen besitzt.“ Sind diese drei Prämissen gegeben, wollen die erwähnten Philosophen geltend machen, dass die Wahrheit die „eine“ ist und dass das universelle Interesse der Menschen an der Wahrheit ein Motiv dafür liefert, eine inklusivistische Gemeinschaft zu schaffen.

Die Neuzeit ist geprägt von einer gesteigerten Rationalität

Denn eine solche Gemeinschaft wäre am ehesten dazu geeignet, den Wunsch nach der Entdeckung der „einen“ Wahrheit zu erfüllen. Richard Rorty fügt hinzu: „Je mehr von dieser Wahrheit enthüllt wird, desto mehr Gemeinsamkeiten haben wir und desto toleranter und inklusivistischer werden wir daher werden.“ Dass es in den letzten Jahrhunderten zu einem Aufstieg relativ demokratischer, relativ toleranter Gesellschaften gekommen ist, sei der gesteigerten Rationalität der Neuzeit zu verdanken.

„Rationalität“ bezeichnet dabei die Ausübung auf Wahrheit gerichteten Vermögen. Richard Rorty stellt fest „Von den drei eben aufgezählten Prämissen wird mancher behaupten, sie würden von der Vernunft zwingend vorgeschrieben. Doch normalerweise ist diese Behauptung tautologisch.“ Denn Philosophen, die das sagen, erklären ihren Gebrauch des Worts „Vernunft“, indem sie eben jene drei Prämissen als „konstitutive Merkmale des eigentlichen Begriffs von Rationalität“ aufzählen. Quelle: „Pragmatismus als Antiautoritarismus“ von Richard Rorty

Von Hans Klumbies