Die Kernenergie ist sowohl klimafreundlich als auch gefährlich

Ulrike Guérot möchte kurz daran erinnern, dass Atomkraft in Deutschland lange Zeit von einer großen Mehrheit für sicher, sauber und mithin für eine gute Energiequelle gehalten worden ist. In vielen Länder – etwa China und Frankreich – ist das noch heute so und es gibt dafür durchaus gute, wissenschaftliche Argumente. Zum Beispiel ist die Kernenergie laut Ulrike Guérot sehr klimafreundlich, weswegen Frankreich sie in der EU-Taxonomie als „nachhaltig“ einstufen möchte. Die Kernenergie kann möglicherweise unter dem Prisma der Klimaneutralität nachhaltig sein. Das heißt allerdings keineswegs, dass sie nicht anderweitig gefährlich oder umweltschädlich ist, etwa mit Blick auf die Reaktorsicherheit oder die Endlager. Am Ende ist es eine Frage der Bewertung und die hängt wiederum davon ab, auf welches Kriterium man schaut. Seit Herbst 2021 ist Ulrike Guérot Professorin für Europapolitik der Rheinischen-Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn.

Das Aus für Kernenergie in Deutschland war überstürzt

Bis zur Reaktorkatastrophe von Fukushima galt Kernkraft trotz lauten Protests einer Minderheit als sicher. Nach dem GAU in Japan 2011 änderte sich diese Bewertung. Im Handumdrehen wurde in Deutschland der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, obgleich man gestern noch alles anders bewertet und durchgesetzt hatte. Ganz einfach, weil man jetzt erfahren hatte, dass Kernkraft vielleicht doch nicht so sicher ist, wie alles zuvor angestellten Wahrscheinlichkeitsrechnungen behaupteten.

An den Zahlen der Kernenergie hatte sich nichts geändert. Ulrike Guérot stellt fest: „An diesem Beispiel lassen sich zwei zentrale Dinge zeigen: Zum einen bildet eine Wahrscheinlichkeitsrechnung die Wirklichkeit nicht unbedingt ab. Zum anderen hängen wissenschaftliche Begründungen von Kriterien ab, die man so oder so bewerten und priorisieren kann.“ Im Fall der Kernkraft je nachdem, ob man auf Sicherheit, Nachhaltigkeit oder Umweltverträglichkeit schaut und was davon man höher bewertet.

Bei der Wissenschaft geht es oftmals um politische Relevanz

Ulrike Guérot weiß: „Wissenschaft ist also nur unter der Bedingung möglich, dass man aus der Gesamtheit des Wirklichen geschlossene Systeme heraustrennen und alle Erscheinungen, die nicht zu ihnen gehören, als vernachlässigbar erachten kann.“ Etwas lapidar formuliert: „Das Ganze“ ist die Idee des Metaphysikers, nicht die des Wissenschaftlers. Bei Forschungsergebnissen geht es also selten darum, was die Wissenschaft sagt.

Sondern es geht darum, welche Bewertungskriterien eine Mehrheit bei wissenschaftlichen Erkenntnissen anlegt und welche sie zu einem gegebenen Zeitpunkt als politisch relevant durchsetzen will. Diese Abhängigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse von Bewertungen zeigt Ulrike Guérot an einem weiteren Beispiel: „Es gibt ungefähr 600 Studien zur Frage, ob Kaffee gut oder schlecht für die Gesundheit ist. Die Ergebnisse variieren von ganz schlecht, sprich Herzrasen, bis sehr gut, was belebend meint. Quelle: „Wer schweigt, stimmt zu“ von Ulrike Guérot

Von Hans Klumbies