Das Wissen verwandelt sich zum neuen Öl

Die Einbildung ist der Todesstoß der Bildung. Statt nachhaltigem Lernen, Wachsen und Versehen heißt es Verbildlichen und Liken. Sogar in der Mathematik und Physik zieht man ästhetische Modelle und Hypothesen vor. Anders Indset stellt fest: „Wir brauchen diese Kompensation, da sie uns Stabilität und Halt gibt, aber gleichzeitig macht sie uns starr und schafft eine trügerische Ruhe. Wir sterben in Schönheit, leben aber nicht den Fortschritt.“ Das starre Wissen, das man in bestimmten Institutionen vermittelt bekommt, setzt man absolut. Es wird für den einen abschließenden Test gelernt. Befristetes Wissen führt zur Qualifikation und Bildung zum sozialen Grad. Das heutige Bildungssystem ist ein endliches Modell, das auf Speichern von Daten ausgerichtet ist. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

Anders Indset stellt eine Inflation der Akademisierung fest

Bloß sind Menschen als Speichermedium schlecht. Anders Indset ergänzt: „Das System stellt den Lernenden in einen direkten Vergleich mit einem heute deutlich leistungsstärkeren Wissensspeichermedium, unserem allwissenden Hosentaschenkameraden mit Connection.“ Menschen lernen für die Prüfung und für den Abschluss, für die Endlichkeit. Sie leben jedoch in der Unendlichkeit, die ausschließlich der Tod beendet. Man spricht von lebenslangem Lernen, versteht darunter aber die Maximierung der Speichereinheiten – Prüfungen – und nicht zu einem höheren Verständnis für die Welt, in der man lebt.

Speichern von Informationen für die eine Prüfung. Ein kurzfristiges abgespeichertes großes Vokabular ersetzt jedoch nie den Verstand. Die Benotung, der Abschluss, dann der Lebensbeginn. Anders Indset weiß: „In einer sich ökologisch wandelnden Gesellschaft entwickelt sich Wissen zum neuen Öl. Die wachsenden Ansprüche an höhere Bildung und Qualifikation begünstigen insbesondere die Hochschulausbildung.“ Alles zielt darauf ab, Bildungsabschlüsse zu erreichen, und man meint damit, man sei gebildet. Eine Inflation der Akademisierung hat in der Gesellschaft Einzug gehalten.

Viele Menschen sind blind für die Vielfalt der Weltzugänge

In Deutschland kann man ehemalige Ausbildungsberufe mittlerweile nur auf der Grundlage eines Studiums ausüben. Dass immer mehr Menschen Zugang zu Wissen erhalten, ist überaus positiv und erfreulich. Eine Bereicherung für jeden. Und doch: Noch nie war es einfacher, etwas zu wissen, etwas zu verstehen, so die gefühlte Paradoxie. Anders Indset betont: „Die Freiheit zu wissen führt letztlich in die Unfreiheit des Wissens. Wir setzen unser angeeignetes Wissen absolut und sind somit gefangen in unseren eigenen Selbstverständlichkeiten.“

Normiert durch die Denkschule, die Menschen zu einem akademischen Titel führt, schließt man seine Ausbildung ab und sieht die Welt nur noch mit dieser einen Brille. Anders Indset erläutert: „Wir festigen unser Weltbild. Durch die reduktive Ausrichtung macht uns dieses gefühlte Wissen blind für die Vielfalt der Weltzugänge. Wir halten diese Sichtweise für selbstverständlich und verkennen dabei die anderen Blickwinkel.“ Eine holistische Perspektive auf die Welt wird damit erschwert, wodurch auch die geistige Unabhängigkeit in eine Krise gerät. Quelle: „Das infizierte Denken“ von Anders Indset

Von Hans Klumbies