Friederike Otto beschreibt in ihrem Buch „Klimaungerechtigkeit“ wie der Klimawandel gesellschaftliche Ungleichheiten verschärft. Denn die Wohlhabenden sind nicht diejenigen, die am heftigsten von den Folgen ihres Verhaltens betroffen sind. Die Auswirkungen von Extremereignissen wie Hitzewellen in Kanada und Afrika oder Überschwemmungen in Pakistan haben die unterschiedlichsten Auswirkungen. Jedes Zehntel Grad globaler Erwärmung führt zu immer größeren Schäden und Verlusten. Aber wer diese spürt und wie, hängt nur zu einem ganz geringen Teil vom Wetter und Klima ab. Die Autorin weiß, was getan werden muss, um die Welt unter diesen neuen Vorzeichen zu einer gerechten zu machen. Friederike Otto forscht am Grantham Institute for Climate Chance zu Extremwetter und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Sie hat das neue Feld der Zuordnungswissenschaft – Attribution Science – mitentwickelt.
Viele Deutsche halten Schulden für moralisch verwerflich
Viele Deutsche haben ein schwieriges Verhältnis zu Schulden. Sie halten Schulden für moralisch verwerflich, wie schon der zugrunde liegende Begriff „Schuld“ suggeriert. Marcel Fratzscher erläutert: „Schulden zu machen, wird als unsolide Lebensführung betrachtet, ein Leben über die eigenen Verhältnisse.“ Denn muss man nicht zuerst mit der eigenen Hände Arbeit Vermögen schaffen, bevor man es konsumiert? Andere verstehen Schulden als ein Leben zulasten anderer, die für diese Schulden im Notfall aufkommen müssen. Vor allem zukünftige Generationen, denen man kein Vermögen und keine guten Startchancen hinterlässt, sondern Verpflichtungen ihrer Eltern und Großeltern. Aber stimmt diese Wahrnehmung? Wann sind Schulden sinnvoll, und welches Ausmaß ist für einen Staat, ein Unternehmen oder eine Privatperson nachhaltig? Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Künstliche Intelligenz hat keine Intuitionen
Schon Dreijährige begreifen, dass Menschen im Gegensatz zu Objekten Absichten und Wünsche haben. Die schließen intuitiv aus Blicken, Körperbewegungen oder Tonfällen auf die Absichten anderer Menschen. Gerd Gigerenzer weiß: „Die Fähigkeit, anderen Menschen Absichten zuzuschreiben, bezeichnet man auch als Theorie des Geistes (Theorie of Mind).“ Sie trägt beispielsweise zum sicheren Fahren im Straßenverkehr bei. Wenn ein Kind an der Bordsteinkante einer vielbefahrenen Straße steht, können menschliche Fahrer in einem Sekundenbruchteil erkennen, ob das Kind die Absicht hat, auf die Straße zu laufen oder nicht. Wenn das Kind einen Ball auf der anderen Straßenseite im Blick hat, könnte das sehr wohl passieren. Blickt das Kind dagegen eine Frau direkt neben sich an, ist das unwahrscheinlich. Das Gottlieb Duttweiler Institut hat Gerd Gigerenzer als einen der hundert einflussreichsten Denker der Welt bezeichnet.
Das erste Leben entsteht tief im Ozean
Am Anfang war das Nichts. Kein Leben. Vor rund 4,5 Milliarden Jahren tobten ununterbrochen Feuerstürme und den Globus. Vulkane speien Asche und Lava in die Luft, alles kocht und brodelt und brennt. Würde man die Lebensgeschichte der Erde in einem Tag erzählen, von Mitternacht bis Mitternacht, ginge das bis vier Uhr morgens. Dirk Steffens und Fritz Habekuss stellen fest: „Dann entsteht das erste Leben, die tief im Ozean an Schloten leben, aus denen heißes Wasser schießt, in dem einfache Moleküle herumtreiben.“ Dann passiert nichts mehr. Sehr lange nicht. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.
Die Kernenergie ist sowohl klimafreundlich als auch gefährlich
Ulrike Guérot möchte kurz daran erinnern, dass Atomkraft in Deutschland lange Zeit von einer großen Mehrheit für sicher, sauber und mithin für eine gute Energiequelle gehalten worden ist. In vielen Länder – etwa China und Frankreich – ist das noch heute so und es gibt dafür durchaus gute, wissenschaftliche Argumente. Zum Beispiel ist die Kernenergie laut Ulrike Guérot sehr klimafreundlich, weswegen Frankreich sie in der EU-Taxonomie als „nachhaltig“ einstufen möchte. Die Kernenergie kann möglicherweise unter dem Prisma der Klimaneutralität nachhaltig sein. Das heißt allerdings keineswegs, dass sie nicht anderweitig gefährlich oder umweltschädlich ist, etwa mit Blick auf die Reaktorsicherheit oder die Endlager. Am Ende ist es eine Frage der Bewertung und die hängt wiederum davon ab, auf welches Kriterium man schaut. Seit Herbst 2021 ist Ulrike Guérot Professorin für Europapolitik der Rheinischen-Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn.
Der Organismus ist auf Energiesparen getrimmt
Da der Homo sapiens in den Grundfunktionen noch wie ein Steinzeitmensch funktioniert, ist sein Organismus auf Energiesparen getrimmt. Franc Cerutti weiß: „Unser Gehirn will faul sein. Daher nutzt es bereits existierende Nervenverbindungen viel lieber, als sich energieaufwendig neue schaffen zu müssen.“ Vertrautes, gewohntes und alltägliches Denken gleicht dem Fahren auf einer vierspurigen Autobahn. Neues, unvertrautes und daher noch unverknüpftes Denken gleicht dahingegen eher der mühsamen Bahnung eines neuen Trampelpfads durch unwegsames Gelände. Das kostet Kraft. Das menschliche Gehirn vermeidet es lieber. Und genau das kann im Leben eines Menschen zu ausgewachsenen Problemen führen. Fast jeder kennt zum Beispiel diesen Konflikt: Man reagiert angsterfüllt, obwohl man weiß, dass es nichts zum Fürchten gibt. Franca Cerutti ist Psychotherapeutin mit eigener Praxis und Podcasterin.
In Deutschland gibt es nicht nur exzellenten Riesling
Aldo Sohm liebt trockenen Riesling mit seiner fokussierten, mineralischen, herzhaften Komplexität. Er wundert sich aber, warum nicht mehr Weintrinker den halbtrockenen Riesling-Kabinett zu schätzen wissen. Aldo Sohm und Christine Muhlke wissen: „Sie sind fantastisch als Speisenbegleiter für thailändische und koreanische Küche und Sushi, sie altern hervorragend, sind aber nie extrem teuer.“ Süßere Spätlesen und Auslesen sind etwas aus der Mode gekommen. Deswegen kauft Aldo Sohm diese vermehrt aus 70er- und 80er-Jahrgängen. Sie werden mit dem Alter trockener und gewinnen eine magische Komplexität. In Deutschland gibt es aber nicht nur Riesling. Auch der Spätburgunder, ein spät reifender Klon der Pinot Noir mit Geschmacksnoten von schwarzem Pfeffer, ist lohnenswert. Der Österreicher Aldo Sohm ist einer der renommiertesten Sommeliers der Welt, eine Legende seiner Branche. Christine Muhlke ist Redakteurin des Feinschmecker-Magazins „Bon Appétit“.
Hans Rudi Fischer reist ins Dazwischen
Die Fragen, denen Hans Rudi Fischer in seinem Buch „Ins Dazwischen“ nachgeht, führen in das Krisengebiet der Vernunft. Dabei handelt es sich um eine Gebiet, in dem man die Orientierung verliert. Denn dort reichen die klassischen Kategorien und die übliche Logik nicht mehr, um die Welt zu begreifen. Hans Rudi Fischer schreibt: „Wir geraten in ein Dazwischen, in dem die alten kognitiven Muster nicht mehr greifen und die neue noch nicht vorhanden sind. Dieser Raum des Dazwischen soll hier erkundet werden.“ Als Beispiel für dieses Dazwischen nennt Hans Rudi Fischer die Metapher. Denn sie ist weder logisch richtiges Denken noch ein Denkfehler. Sie markiert ein Dazwischen, eine Metamorphose des Zeichensystems der Menschen, mit dem sie die Welt repräsentieren. Hans Rudi Fischer ist Philosoph und Psychologe. Seit 30 Jahren arbeitet er als Lehrender Therapeut, Coach und Organisationsberater.
Gewalt ist manchmal moralisch gerechtfertigt
Wenn man Ausnahmen vom Grundsatz der Gewaltlosigkeit macht, zeigt das, dass man bereit ist zu kämpfen und zu verletzen, vielleicht sogar zu morden. Und dass man bereit ist, dafür moralische Gründe anzuführen. Judith Butler erklärt: „Nach dieser Logik handelt man in diesem Fall entweder zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung jener, die zum weit gefassten Regime des Selbst gehören.“ Denn mit diesen kann man sich identifizieren oder als dem weiteren sozialen oder politischen Raum zugehörig anerkennen, in dem man sich auch selbst verortet. Wenn das stimmt, dann gibt es eine moralische Rechtfertigung von Gewalt, deren Basis demografischer Art ist. Was hat die Demografie in dieser ethischen Debatte über Ausnahmen vom Gewaltverbot zu suchen? Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.
Ein Zyklus steuert den Aufstieg und Fall von Weltreichen
Die Menschheit erlebt derzeit eine archetypische gewaltige Veränderung des relativen Wohlstands- und Machtgefüges sowie der gesamten Weltordnung. Dies wird sich auf allen Ländern grundlegend auswirken. Es gibt einen archetypischen großen Zyklus, der den Aufstieg und Fall von Weltreichen steuert. Die wichtigsten Zyklen der langfristige Kredit- und Kapitalmarktzyklus sowie der innen- und der außenpolitische Zyklus von Ordnung und Chaos. Ray Dalio erläutert: „Diese Zyklen lösen Pendelbewegungen zwischen den beiden Extremen aus – zwischen Frieden und Krieg, Hochkonjunktur und Rezession, der Machtergreifung der Linken und der Rechten, der Entstehung und Auflösung von Weltreichen und mehr.“ Diese Pendelbewegungen treten in der Regel auf, weil die Menschen bis zum Äußersten gehen und die Situation aus dem Gleichgewicht bringen. Ray Dalio ist Gründer von Bridgewater Associates, dem weltgrößten Hedgefonds. Er gehört mit zu den einflussreichsten Menschen der Welt.
Migration ist ein weltweites Phänomen
Die Menschheit lebt gerade in einem Zeitalter großer Migrationsbewegungen. Diese werden zum ganz überwiegenden Teil von Krieg, Zerstörung, Klimawandel und krasser Armut ausgelöst. Menschen, die ihre Lebensgrundlage verloren haben, müssen sich auf die Flucht begeben. Die Mehrheit der seit 2015 nach Deutschland Geflüchteten sind Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan, also aus Ländern, die eine sogenannte Gemeinschaftskultur pflegen. Joachim Bauer ist seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv: „Bereits zur Zeit der Jugoslawienkriege gehörte ich zu einem Kollegennetzwerk, das aus dem Balkan geflohenen Frauen geholfen hat.“ Diesen war teilweise der Aufenthalt in Deutschland verweigert worden, obwohl sie schwere Traumatisierungen hinter sich hatten. Daher lebten sie zum Teil ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.
Das Smartphone entdinglicht die Welt
Das Smartphone ist der Hauptinfomat der Gegenwart. Byung-Chul Han erklärt: „Es macht nicht nur viele Dinge überflüssig, sondern entdinglicht die Welt, indem es sie auf Informationen reduziert. Auch das Dingliche am Smartphone tritt zurück zugunsten Informationen.“ Man nimmt es nicht eigens wahr. Dem Aussehen nach unterscheiden sich Smartphones kaum voneinander. Die Menschen blicken durch sie hindurch in die Infosphäre. Eine analoge Uhr versorgt sie zwar mit zeitbezogenen Informationen, aber sie ist kein Infomat, sondern ein Ding, ja auch ein Schmuck. Das Dingliche ist ihr zentraler Bestandteil. Die von Informationen und Infomaten beherrschte Gesellschaft ist schmucklos. Schmuck bedeutet ursprünglich prächtige Kleidung. Undinge sind nackt. Charakteristisch für die Dinge ist das Dekorative, das Ornamentale. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Intelligenz setzt einen Geist voraus
Intelligenz, Geist und Bewusstsein stellen für Antonio Damasio drei heimtückische Begriffe dar. Denn zu klären, was sie bedeuten, ist eine nie endende Aufgabe. Intelligenz ist aus der allgemeinen Sicht aller Lebewesen die Fähigkeit, erfolgreich die Probleme zu lösen, die der Kampf ums Leben aufwirft. Allerdings liegt eine beträchtliche Wegstrecke zwischen der Intelligenz von Bakterien und der Intelligenz eines Menschen. Genauer gesagt, ist es eine Entfernung von Milliarden Jahren der Evolution. Wie nicht anders zu erwarten, sind auch das Spektrum solcher Intelligenzen und ihrer jeweiligen Errungenschaften ganz unterschiedlich. Explizite menschliche Intelligenz ist niemals einfach oder klein. Sie setzt einen Geist und die Mithilfe mit dem Geist verwandter Vorgänge voraus: Fühlen und Bewusstsein. Antonio Damasio ist Dornsife Professor für Neurologie, Psychologie und Philosophie und Direktor des Brain and Creativity Institute an der University of Southern California.
Die Renaissance der Männerpflege
In den letzten Jahren hat sich das Bild von männlicher Schönheitspflege radikal gewandelt. Einst als Randerscheinung betrachtet, ist die Männerpflege heute zu einem florierenden Markt geworden, der eine Vielzahl von Produkten und Behandlungen für den modernen Mann bietet. Historischer Hintergrund der Männerpflege Die traditionelle Vorstellung von Männlichkeit war oft mit Vernachlässigung der eigenen Haut- und … Weiterlesen
Nicht jeder ist immer ein guter Mensch
Beim moralischen Wahlakt geht es immer um den fundamentalen Zielkonflikt zwischen positiven externen Effekten und dem Eigennutz. Armin Falk erläutert: „Wir wägen das moralisch Wünschbare ab mit den Unannehmlichkeiten und Nachteilen, die mit unseren Handlungen verbunden sind.“ In diesem Zielkonflikt, so simpel er erscheinen mag, liegt der Kern des Problems begründet, warum nicht jeder und immer ein guter Mensch ist und nicht automatisch den allgemein akzeptierten moralischen Vorstellungen folgt. Schlicht deswegen, weil es „teuer“ ist. Wer nicht bereit ist, die Kosten zu tragen, verhält sich nicht altruistisch, sondern egoistisch. Wäre der moralische Akt kostenlos zu haben, wären wohl alle Menschen moralische Superhelden. Armin Falk leitet das Institut für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (briq). Außerdem ist er Direktor des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung, sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn.
Die Welt bietet den Menschen unendliche Möglichkeiten
Ullrich Fichtner stellt in seinem neuen Buch „Geboren für die großen Chancen“ dem allgegenwertigen Pessimismus eine positivere Sicht der Dinge gegenüber. Dennoch ist der Autor weit entfernt, die Gegenwart durch eine rosarote Brille zu betrachten. Ullrich Fichtner schreibt im Vorwort: „Die Welt wird genommen, so gebrechlich, wie sie eben ist, Gefahren werden nicht ausgespart, aber ein guter Verlauf für alle und alles wird trotzdem für möglich gehalten.“ Anders als offen ist die Zukunft nicht zu haben. Mit Umbrüchen ist jederzeit zu rechnen, mit schrecklichen und glücklichen Zufällen auch. Die Geschichte ist voll von ihnen. Ullrich Fichtner will in seinem Buch Gegenwart und Zukunft anders erzählen. Nicht als Verhängnisse, sondern als Möglichkeiten. Ullrich Fichtner ist Reporter des „Spiegel“ und gehört zu den renommiertesten Journalisten Deutschlands.
Immanuel Kant revolutioniert die Philosophie
Die Sonderausgabe des Philosophie Magazins ist diesmal Immanuel Kant gewidmet. Der Philosoph, dessen Geburtstag sich am 22. April zum 300. Mal jährt, gehört zu den bedeutendsten Denkern der Philosophiegeschichte. Der israelische Philosoph Omri Boehm versteht Kant, entgegen der gängigen Klischees, als einen Philosophen des Ungehorsams, gar als Anarchisten. Er sagt: „Die wichtigste Erkenntnis Kants ist, dass es Autorität – im Gegensatz zu Macht – nur geben kann, wenn die Vernunft in der Lage ist, sich selbst ihre eigenen Regeln zu geben.“ Dadurch wird jede von außen kommende Autorität abgelehnt. Denn äußere Autorität und Autonomie schließen sich in gewisser Weise aus. Laut Omri Boehm besteht Immanuel Kants wichtigstes Vermächtnis darin, den Universalismus durch die Freiheit und nicht durch Gott oder die Natur zu begründen – im Zusammenhang mit der Menschenwürde.
Das Über-Ich kann von Schuld und Schande befreien
Sigmund Freud Erklärung des Ursprungs des Gewissens, des Über-Ichs, ist nach Richard Rortys Eindruck eine weitere Lesart des John Dewey motivierenden Antiautoritarismus. Zwischen zwei Menschentypen besteht ein Verhältnis wechselseitigen Unverständnisses. Richard Rorty erklärt: „Die erste Gruppe umfasst diejenigen, die ihre größten Hoffnungen in die Vereinigung mit etwas Übermenschlichem setzen. Dabei handelt es sich um eine Quelle des Über-Ichs, die genügend Autorität besitzt, um die Menschen von Schuld und Schande zu befreien. Zur zweiten Gruppe gehören jene, die ihre größten Hoffnungen in eine bessere Zukunft des Menschen setzen, die man durch ein höheres Maß an brüderlicher Zusammenarbeit zwischen den Menschen erreichen will. Richard Rorty (1931 – 2007) war einer der bedeutendsten Philosophen seiner Generation. Zuletzt lehrte er Vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University.
Geld entstand als Maßeinheit für Kredit
David Graeber wurde 1961 in New York geboren und war nach eigenen Aussagen seit seinem 16. Lebensjahr Anarchist. Er studierte an der State University of New York und der Universität von Chicago. Dort promovierte er im Jahr 1996. Thomas Mayer ergänzt: „Zwei Jahre später wechselte er an die Yale University, wo er als Assistant and Associate Professor tätig war.“ Im Jahr 2005 entschied sich der Fachbereich Anthropologie dieser Universität David Graebers Lehrauftrag nicht zu verlängern. Dadurch konnte er keine ordentliche Professur erhalten. Dies führte zu erheblichen Protesten von Studenten, Aktivisten und Fachkollegen, die jedoch keinen Erfolg hatten. Nach mehreren viel beachteten Vorträgen erhielt David Graeber 2007 einen Lehrauftrag am Goldsmith College der Universität von London. Thomas Mayer ist promovierter Ökonom und ausgewiesener Finanzexperte. Seit 2014 ist er Leiter der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute.
Die Kunst orientierte sich einst an der Nachahmung
Die Kunst zählt zu den großen Werten der europäischen Kultur. Dabei nimmt sie selbst an dem Wertekanon der Gesamtkultur Anteil. Silvio Vietta sagt: „Solange die Wahrnehmung der Welt in der europäischen Denkgeschichte als eine Art Abdruck der Dinge im Bewusstsein des Menschen begriffen wurde, orientierte sich auch die Kunst an dem Begriff der Nachahmung bzw. Mimesis.“ In seiner Poetik definiert Aristoteles das Drama als eine Form der „Mimesis der Handlung“ des Mythos. Die europäische Kunst und auch Literatur begriffen sich selbst dann im Weiteren als „Nachahmung der Natur“. Diese Vorstellung dominierte bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Und dieser Auffassung entsprach auch eine Praxis des Zeichnens und Malens „nach der Natur“. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.
Es gibt universelle moralische Prinzipien
Der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt und andere Forscher neigen zu einem Relativismus, der zugespitzt lautet: Jede Kultur hat ihre eigene Moral. Philipp Hübl erläutert: „Wenn die Moral den Gefühlen gehorchen muss, kanns sie als Sklavin der Leidenschaften schwerlich universell sein.“ Im Westen ist moralischer Relativismus heute oft aus Minderheitenschutz heraus, also aus Fürsorge und Fairness motiviert. Denn es besteht die Angst, in der Moral kolonialistisch oder „ethnozentrisch“ zu verfahren. Doch universelle moralische Prinzipien sind nicht „westlich“, nur weil einige von ihnen zuerst im Westen formuliert wurden. Genauso wenig ist das Prinzip des gewaltlosen Widerstands gegen Unterdrücker „indisch“, nur weil es Mahatma Gandhi als Erster erfolgreich gegen die britischen Besatzer eingesetzt hat. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).
Die Glaubenswelten sind ein „Tummelplatz für Betrügereien“
Rüdiger Safranski stellt fest: „Kein Autor vor Michel de Montaigne hat so gedankenreich das Hohelied von Gewohnheit und Übung angestimmt.“ Und es ist bezeichnend, dass er dieses Thema beim Nachdenken über den Tod entdeckt. Es heißt zwar: eine Erfahrung „machen“. In Wirklichkeit aber widerfährt sie einem, im günstigsten Fall wird sie einem geschenkt, und für Michel de Montaigne ist es die große Natur, die nimmt und gibt. Und darum schreibt er in einem der letzten Essays, nicht lange vor seinem Tod: „Falls ihr nicht zu sterben versteht – keine Angst! Die Natur wird euch, wenn es soweit ist, schon genau sagen, was ihr zu tun habt, und die Führung der Sache voll und ganz für sich übernehmen. Grübelt also nicht darüber nach.“ Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.
Einsamkeit kann für die Betroffenen ein ernstes Problem sein
Das Buch „Philosophie der Einsamkeit“ ist der Versuch von Lars Svendsen herauszufinden, was Einsamkeit eigentlich ist, wer davon betroffen ist und warum das Gefühl von Einsamkeit entsteht, andauert und verschwindet. Die Behauptung, dass Einsamkeit für die Betroffenen ein erster Problem sein kann, ist ungefähr das Einzige, was stimmt. Das hat Lars Svendsen bei den Recherchen zu seinem Buch herausgefunden. Einsamkeit hat enorme Konsequenzen für die Lebensqualität vieler Menschen, für ihre physische sowie psychische Gesundheit. Allerdings ist es schwer darüber zu sprechen, weil das Thema so mit Scham belegt ist. Aber gleichzeitig gilt auch, dass Menschen ihre besten Stunden dann haben, wenn sie allein sind. Lars Frederik Händler Svendsen ist Philosoph und Professor für Philosophie an der Universität Bergen. Seine Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet.
Die Welt ist zu kompliziert geworden
Viele Menschen hoffen insgemein, der Weg in eine bessere Welt sei möglich. Doch selbst Übermorgen werden die Politiker der Welt auch keine Lösung für die Probleme der Welt finden. Ille C. Gebeshuber stellt fest: „Selbst der einfache Ansatz, dass der erste Schritt in eine bessere Welt darin besteht, dass alle die Regeln und Gesetze unserer Gesellschaft einhalten, erscheint undurchführbar.“ Die Bürger sehen, dass die Ankündigungen großer Schritte, die man nie ausführt, viel einfacher ist als das Gehen kleiner Schritte, die sofort Geld und Aufwand kosten. Zu kompliziert ist die Welt geworden und zu groß sind die Eigeninteressen einzelner. Aber man weiß einige Dinge. Zum einen weiß man, dass der Weg der globalen Gesellschaft nicht mehr lange so weitergehen kann. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.
In der Politik wurde immer schon gelogen
Bei der Gegenwart, so kann man lesen, handelt es sich um ein postfaktisches Zeitalter. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Ungeniert können Populisten Lügen verbreiten, ihre Anhänger wissen das und jubeln trotzdem oder vielleicht gerade deshalb.“ Dem Wahrheitsfreund graut, zumal er ja, so muss man den erschütterten Kommentaren zur „post-truth politics“ entnehmen. Denn er ist in einer Zeit groß geworden, in der Wahrheit in der Politik noch eine entscheidende Kategorie war und sich die Wähler an den besseren und faktengetreuen Argumenten orientierten. Natürlich stimmt diese in die Vergangenheit projizierte Idylle nicht. In der Politik wurde immer schon gelogen und immer schon haben die Anhänger diese Politik das augenzwinkernd akklamiert. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.