Das Grundgesetz hat Deutschland ganz wesentlich geeint

Pluralistische Gesellschaften, wie die deutsche, werden nicht mehr vorrangig durch gemeinsame Tradition, Religion oder Kultur zusammengehalten. Hans-Jürgen Papier weiß: „Sie finden stattdessen in der Anerkennung der Verfassung, ihrer Werteordnung und des demokratisch gesetzten Rechts ihre verbindende Grundlage. Auf sie kann sich die Mehrheit der Bevölkerung beziehen, genau wie es die Minderheiten können.“ Für die Bundesrepublik Deutschland lässt sich sagen, dass das Grundgesetz die deutsche Gesellschaft über die Jahrzehnte ganz wesentlich geeint hat. Es hat die Freiheiten definiert und Verfahrensweisen vorgegeben, die es Politik und Gesetzgebung ermöglichen, den sozialen Konsens im Abgleich mit den zivilgesellschaftlichen Diskursen weitgehend offen zu gestalten. Auch heute noch erweist sich die deutsche Verfassung als tragfähiges Gebäude mit den Grundrechten als stützende Pfeiler. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Das Grundgesetz kann nicht abgewählt werden

Diese enorme Standfestigkeit der deutschen Verfassung auch in stürmischen Zeiten haben die heute Lebenden den Frauen und Männern des Parlamentarische Rats zu verdanken, die das Grundgesetz erdacht haben. Auf den Ruinen der Schreckensdiktatur des Nationalsozialismus ist es als ein Bekenntnis zur rechtsstaatlichen Demokratie und zu Werten wie Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde entstanden. Sie können nicht abgewählt werden, weder vom Volk noch von parlamentarischen Mehrheiten.

Um sicherzustellen, dass der „Geist“ des Grundgesetzes erhalten bleibt, gibt es eine eigene Gerichtsbarkeit, die über seine Einhaltung wacht. Nämlich das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder. Zunächst als Provisorium gedacht, waren die wichtigsten Zielsetzungen die Errichtung eines parlamentarischen Rechtsstaats und der wirtschaftliche Wiederaufbau. Während der Periode der Teilung Deutschlands genügte häufig ein Blick in die DDR, um sich zu vergewissern, was Westdeutschland an seiner freiheitlichen Ordnung hatte.

Die Bürger sollten die Funktionsfähigkeit des deutschen Staates stärken

Hans-Jürgen Papier stellt fest: „Denn was sich auf der anderen Seite zeigte, waren als Erstes die militärisch hochgerüsteten Grenzanlagen, mit deren Hilfe die eigene Bevölkerung im Land gehalten werden sollte.“ Bei näherer Betrachtung wurde darüber hinaus erkennbar, wie tief die Strukturen der Stasi-Machenschaften in Familien und Freundeskreise hineinreichten. Ihr Ziel war, aus Bürgern eine opportunistische und durch die Planungen der Partei lenkbare Masse zu formen.

Heute stehen mit Klimawandel und wirtschaftlichen Verteilungskämpfen, internationalen Terrorismus oder Pandemien neue Herausforderungen auf der Tagesordnung. Sie setzen ein gefestigtes, aber auch saturiertes und dabei bisweilen unbeweglich gewordenes Gemeinwesen unter einen gewaltigen und ungewohnten Anpassungsdruck. Hans-Jürgen Papier erklärt: „Das führt neuerdings zu Zweifeln an einem System, das über lange Zeit hochstabil war und zu Zweifeln keinen Anlass gab.“ Anstatt jedoch das System infrage zu stellen, sollten sich die Bürger in Deutschland darauf konzentrieren, es wieder funktionsfähiger zu machen. Quelle: „Freiheit in Gefahr“ von Jürgen Papier

Von Hans Klumbies