Es gibt einen Mythos der milden Diktatoren

„Kein Mensch bekämpft die Freiheit. Er bekämpft höchstens die Freiheit des anderen. Jede Art der Freiheit hat daher immer existiert, nur einmal als besonderes Vorrecht, das andere Mal als allgemeines Recht“, schrieb Karl Marx am 12. Mai 1842. Freiheit für alle oder nur für Wenige? Roger de Weck erklärt: „Die Wenigen schätzen eben die Freiheit für Wenige, weil sie riesengroß ist. Weil sie auf die Vielen keine Rücksicht nehmen müssen.“ Nicht nur in Italien hängen sie am Mythos der milden Diktatoren, da „ohne Ordnung keine Freiheit“. Im Handumdrehen ließen sich Konservative und Liberale von Autokraten einwickeln. Zum Beispiel als 1922 in Rom das bürgerliche Parlament Benito Mussolini eine Blankovollmacht erteilte. Er versprach eine „befreiende Gewalt“. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Carl Schmitt ist ein Verfechter der Kriegskultur

Und 1933 machte im Deutschen Reichstag eine konservativ-liberale Vierfünftelmehrheit Adolf Hitler zum Diktator. „Für unseres Volkes Freiheit“, wie er gelobte. „Europa der Nationen und der Freiheit“, nannte sich bis 2019 die rechtsradikale bis rechtsextreme Fraktion im Europäischen Parlament. Reaktionäre meinen die kollektive Freiheit, nie die individuelle. Jederzeit sind sie bereit, der Libertät ihrer „Volksgemeinschaft“ die Liberalität zu opfern. Sophistisch spielen sie mit dem Doppelsinn. Die Alternative für Deutschland (AfD) treibt solche Rabulistik auf die Spitze.

Denn sie nennt ihre Parteistiftung nach dem Gründervater des Humanismus, Erasmus von Rotterdam. Roger de Weck fügt hinzu: „Dem Vorstand der „Desiderius-Erasmus-Stiftung“ sitzt die rechtsradikale Vertriebenenpolitikerin Erika Steinbach vor.“ Der Nazi-Staatsdenker Carl Schmitt stempelte in der Tradition von Erasmus stehende Humanisten zu Verbrechern. Er ist der intellektuelle Übervater der deutschen Reaktionäre und Verfechter einer Kriegskultur, auf die Alexander Gauland gern Bezug nimmt.

Carl Schmitt: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“

In seinem Buch „Der Begriff des Politischen“ schreibt Carl Schmitt: „Politisches Denken bewährt sich an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden. Die Höhepunkte der großen Politik sind die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erkannt wird.“ Der Staatsdenker Carl Schmitt führe aus, es sei der Normalzustand, dass Menschengruppen sich befehdeten. Humanismus sei inhuman, meinte er – anderthalb Jahrzehnte vor dem Holocaust. Carl Schmitt behauptete, in der Politik seinen die Moral, die Ökonomie und die Ästhetik unbrauchbare Fremdkörper.

„Wer Menschheit sagt, will betrügen“, befand Carl Schmitt. Sein Zeitgenosse Oswald Spengler hatte es 1918 in der Einleitung zu seinem Buch „Der Untergang des Abendlandes“ vorweggenommen: „Die Menschheit ist ein zoologischer Begriff oder ein leeres Wort.“ Oswald Spengler zählte zu den Aktivisten der Konservativen Revolution, die in der Zwischenkriegszeit auf eine Diktatur hinarbeiteten. Carl Schmitts Gesinnungsgenosse Arnold Gehlen sah im Humanismus eine Überforderung des Menschen. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies