In der Demokratie geht die Herrschaft vom Volk aus

Auch wenn die Demokratie in vielerlei Gestalt auftritt, gibt es doch einen gemeinsamen Kern. Otfried Hoffe kennt ihn: „Dessen nähere Bestimmung kann man aus den drei Dimensionen mit insgesamt Gesichtspunkten aufbauen, wobei in der vollentwickelten Gestalt ein hohes Maß an Partizipation noch hinzukommt.“ Die erste legitimatorische Dimension ergänzt erstens einen formalen Gesichtspunkt, dass die Herrschaft von den Betroffenen ausgeht um zweitens den inhaltlichen Aspekt, dass sich die Herrschaft von jedem einzelnen Betroffenen und zusätzlich von der Gesamtheit rechtfertigen lässt. Zur formalen, herrschaftslegitimierenden kommt hier inhaltlich, als herrschaftsnormierende Demokratie, die universale Konsensfähigkeit dazu. Sie wird dort erfüllt, wo die Herrschaft als Gewährleistung der Freiheitsrechte jedem einzelnen und zusätzlich der Gesamtheit zugutekommt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Demokratien zeichnen sich durch Kooperation aus

Im Begriff des Volkes gehen also zwei Bedeutungen eine untrennbare Verbindung ein: Nicht in allen Aspekten, vor allem nicht in jeder materiellen Hinsicht, wohl aber auf der Grundebene muss jeder einzelne einen Vorteil haben. Das entspricht sowohl einem legitimatorischen als auch methodischen Individualismus. Angefangen mit der gemeinsamen Rechts- und Friedensordnungen sind Demokratien unverzichtbar Gemeinschaften der Kooperation. Deretwegen erweitert sich die funktionale um eine intrinsische Legitimation.

Da die ersten zwei Gesichtspunkte sowohl unverzichtbar als auch komplementär sind, haben auf der fundamentale Ebene die Volkssouveränität mit der dritten Gruppe der Menschenrechte, den politischen Freiheitsrechten beziehungsweise demokratischen Mitwirkungsrechten, und die Verbindung einer Rechts- und Friedensordnung mit den Menschenrechten als Freiheitsrechten den gleichen Ursprung und Rang. Diese Situation widerspricht nun einem schlichten Demokratieverständnis. Denn sie bindet die pure Volksherrschaft an verbindliche Vorgaben.

John Stuart Mill warnt vor der Tyrannei der Mehrheit

Otfried Höffe erläutert: „Vom Staat nicht gewährt, bloß gewährleistet, erlauben die beiden Leitaufgaben, die Friedensordnung und die Menschenrechte, keine Mehrheitsentscheidungen, nur eine reflexive Vergewisserung und Zustimmung.“ Die in ihnen verbürgte Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen wird durch keine noch so große Mitbestimmung aufgewogen. Die legitimatorische Fundamentaldemokratie widerspricht daher jener organisatorischen Totaldemokratie. Diese ist nicht bereit, sich den vorab genannten Leitaufgaben zu unterwerfen. Eine Demokratie, die selbst für die grundlegenden Menschenrechte Mehrheitsentscheidungen zulässt, verletzt ihre Legitimation. Aus der schlichten Demokratie muss also eine konstitutionelle Demokratie werden. Somit kommt ins Demokratieverständnis eine gewisse Spannung hinein. Das schlichte Verständnis erlaubt nämlich eine absolutistische, von aller Einschränkung freie Volksherrschaft. Gegen die richtet sich schon die von den beiden wichtigsten Vertretern der antiken politischen Philosophie, Platon und Aristoteles, bekannte Demokratiekritik.

Ihr kompromissloses Veto gegen eine ungebundene Volksherrschaft setzt der große Anwalt individueller Freiheit, John Stuart Mill, mit seiner Warnung vor einer „Tyrannei der Mehrheit“ fort. Die konstitutionelle Demokratie erhebt nun das Veto zu ihrem Prinzip. Dabei können die Tragweite und das Gewicht des Vetos unterschiedlich ausfallen. In Staaten mit einem hohen Anteil direkter Demokratie kann in die bestehende Verfassung in der Regel leichter eingegriffen werden. In anderen Staaten, so in Deutschland heißt es ausdrücklich: „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies

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