Pluralität ist das zentrale Thema von Hannah Arendt

Es gibt ein Motiv, dass sich wie ein roter Faden durch alle Publikationen von Hannah Arendt zieht. Es handelt sich dabei um die Pluralität. Juliane Rebentisch erklärt: „Die Überzeugung, dass die Entfaltung menschlicher Würde auf Pluralität angewiesen ist, bestimmt ihren Begriff der Öffentlichkeit und ihre Unterscheidung von Macht und Herrschaft.“ Sie motiviert Hannah Arendts Kritik der modernen Arbeitsgesellschaft ebenso wie ihre Aversion gegen die Gleichsetzung von Souveränität und Freiheit sowie den Sog der Brüderlichkeit. Sie ist in ihrer frühen Kritik der Assimilation ebenso präsent wie im Spätwerk über das Denken und Urteilen. Kurz: Hannah Arendts Texte kann man in wesentlichen Zügen als Beiträge zu einer „Apologie der Pluralität“ lesen. Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

Hannah Arendt liebt die Welt

Ihrem Selbstverständnis als öffentliche Intellektuelle kommt man vielleicht dort am nächsten, wo sie über das intellektuelle Profil eines anderen spricht. In ihren „Gedanken zu Lessing“, die sie anlässlich der Entgegennahme des Lessing-Preises der Freien und Hansestadt Hamburg 1959 vortrug, zeichnet sie ein Bild Gotthold Ephraim Lessings, in dessen Konturen sich die von Hannah Arendt selbst erkennen lassen. Lessing wird hier charakterisiert als jemand, der noch dort, wo er sich zum Denken zurückzog, zu anderen hinsprach.

Die westliche philosophische Tradition seit Platon kontrastiert das Denken zumeist dem Handeln. Denn es ist mit einem Rückzug von der Welt verbunden. Dagegen zeichne sich das Denken bei Lessing durch einen „heimlichen Bezug“ zum Handeln und auf die Welt aus. Juliane Rebentisch stellt fest: „Bei Arendt ist dieser Bezug freilich nicht heimlich geblieben.“ Ihre Liebe zur Welt ist sicherlich ein wesentlicher Grund, weshalb sie sich als politische Theoretikerin verstand. Ihr geht es im Denken um die Welt selbst.

Lessings Überzeugen richten sich an die Öffentlichkeit

Hannah Arendts Selbstverständnis als politische Theoretikerin bezieht sich aber nicht nur auf die Gehalte ihres Denkens oder auf dessen impliziten Bezug zur Öffentlichkeit. Juliane Rebentisch erläutert: „Vielmehr geht es auch um die Idee davon, wie dieses Denken in ihren Schriften erscheint, wie es öffentlich auftritt. Auch in diesem Punkt gibt es eine gewisse Resonanz mit ihrer Charakterisierung Gotthold Ephraim Lessings.“ Mehr noch als der eigenen Position ist Lessing nämlich, wie Hannah Arendt betont, dem intersubjektiven Raum verpflichtet gewesen.

Dabei handelt es sich um eine Arena, in der andere die eigene Position verhandeln und also auch bestreiten können. Es ist jedoch ein Missverständnis, aus dieser Haltung einen erkenntnistheoretischen Relativismus abzuleiten. Oder gar eine frivole Indifferenz den eigenen Überzeugungen gegenüber feststellen zu wollen. Juliane Rebentisch weiß: „Lessing war überaus parteiisch und geradezu obsessiv detailversessen in der Sache. Aber jede noch so leidenschaftlich vertretene und hart erarbeitete Überzeugung richtete sich an die Öffentlichkeit. Quelle: „Der Streit um Pluralität“ von Juliane Rebentisch

Von Hans Klumbies