Terror und Gewalt führen zu keiner stabilen Macht

Gewalt und Macht lassen sich mit Hannah Arendt dadurch unterscheiden, dass Erstere prozessual, dynamisch und zeitlich begrenzt ist. Letztere stellt dagegen eine strukturelle Größe dar, die dauerhaft, und, was fast dasselbe ist, institutionalisiert ist. Gewalt ist ein Komplement von Macht, insofern sie, wie Michel Foucault dargelegt hat, auf einem System von möglichen psychischen und/oder physischen Bestrafungen basiert, die gleichsam den symbolischen Horizont aller Macht bildet. Wolfgang Müller Funk ergänzt: „Das, was als politischer Körper bezeichnet wird, wäre gewissermaßen der Foucaultsche Aspekt des Zusammenhangs von Macht und Gewalt. Jenseits der Befunde des französischen Denkers besteht der Verdacht, dass keine Macht, die allein auf Terror und Gewalt beruht, dauerhaft stabil ist. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.

Gewalttätigkeit ist ein Indiz der Fragilität von Herrschaft

Der gezielte Einsatz von Gewalttätigkeit ist vor allem ein Indiz der Fragilität von Herrschaft. Wer den Einsatz von Gewalttätigkeit erhöht, ist besorgt um den eigenen Machterhalt und trachtet danach, alle wirklichen, aber auch eingebildeten Feinde zu vernichten. Gewiss bildet Gewalt den Horizont von Macht. Aber diese ist von ihr insofern bedroht, als die unkontrollierte Abfolge von gewalttätigen Akten die Strukturen der Macht als maximale, verlässliche Kontrolle unterläuft.

Wolfgang Müller-Funk betont: „Vielmehr führt sie zum Gegenteil des Intendierten, zur Gefährdung und zum Zusammenbruch der jeweiligen Machtposition. Insofern lebt jede Form von Macht vom erzwungenen oder auch freiwilligen Einverständnis einer sozialen Entität mit dieser.“ Davon ausgehend lässt sich Grausamkeit im politischen Umfeld nur vordergründig als eine gesteigerte, Macht erhaltende Form von Gewalt begreifen. Doch wäre es laut Wolfgang Müller-Funk voreilig, sich in der Beschreibung der Grausamkeit darauf zu beschränken.

Grausamkeit hat einen unverkennbar narzisstischen Aspekt

Diese Form von Gewalt, der eine paradoxe Hinwendung zum anderen innewohnt, hat einen unverkennbar narzisstischen Aspekt. Sie geht nicht nur methodisch ans Werk, sondern lebt auch von einem Wissen um den Schmerz, dem sie dem anderen Menschen zufügt. Wolfgang Müller-Funk fügt hinzu: „Ihre Perversion besteht darin, dass sie eine gewisse Empfindlichkeit des Täters voraussetzt, die aber gerade dazu führt, sie an dem oder der Anderen zu exekutieren.“

Umgangssprachlich übersetzt, bedeutet Perversion Verdrehung. Und eine solche ist hier psychologisch im Spiel. Wolfgang Müller-Funk stellt fest: „Dieser Umstand generiert einen statistischen Überschuss an grausamen Handlungen.“ Dieser stellt in der Tat eine Potenzierung von Gewalt dar. Es gibt noch eine andere Ansicht von Kathleen Taylor, der zufolge Grausamkeit selbst ein moralisches Konzept darstellen kann. Ihm liegt das Gebot des Tötens zugrunde, das auch deshalb grausam zu nennen ist, weil es den Getöteten jeglicher moralischen Reputation beraubt. Quelle: „Crudelitas“ von Wolfgang Müller-Funk

Von Hans Klumbies