Die USA erleben derzeit einen umfassenden demographischen Wandel. Dieser wird mit Sicherheit frühere Denkansätze in Bezug auf Fragen der Identität, der Gemeinschaft und der sozialen Beziehungen auf den Kopf stellen. Wenn die US-amerikanischen Bürger heute die falschen Entscheidungen treffen, könnte es sein, dass der binäre Gegensatz schwarz / nichtschwarz sich von Neuem behauptet und Rassenprivilegien genauso massiv sind wie eh und je. Danielle Allen ergänzt: „Etwas Ähnliches ließe sich über Europa sagen. So wie es sich gerade mit einer Mischung aus niedrigen Geburtsraten in der einheimischen Bevölkerung, Flüchtlingskrise, binneneuropäischer Migration und der Frage von Europas Zukunft herumschlägt.“ Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.
Danielle Allen fordert eine Differenz ohne Herrschaft
Demografie ist kein gegebenes Schicksal. Aber die demografischen Entscheidungen, die eine Bürgerschaft fällt, schon. Das gegenwärtige demografische Durcheinander stellt die Bürger vor große Herausforderungen. Doch es gibt die Hoffnung, die neue Diversität in dauerhaft freie und gesunde, wenn auch heterogene Gesellschaften zu verwandeln. Dabei gilt es, das egalitäre Kernversprechen der Demokratie wiederzubeleben und die politischen Bemühungen auf Partizipationsprojekte und egalitäre Ermächtigung zu konzentrieren.
Danielle Allen fordert einen Gerechtigkeitsrahmen, der beim Streben nach und Schutz von politischer Gleichheit ansetzt. Zudem sollte er Differenz ohne Herrschaft zu seinem leitenden Prinzip machen. Danielle Allen beruft sic nicht ohne Bangen auf den Begriff „Demokratie“ und die Idee, deren Kernversprechen wiederzubeleben. Das liegt daran, dass die Idee der Demokratie ihrer Meinung nach von den liberalen Eliten vereinnahmt und entleert worden ist. „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ von John Rawls und die auf sie zurückgehenden politischen Bemühungen mögen gut gemeint gewesen sein.
Das Vermögen konzentriert sich in den Händen weniger Reicher
Jedoch haben John Rawls theoretische Annahmen einem neoliberalen Teufelspakt Schützenhilfe geleistet. In dessen Rahmen hat sich das Vermögen in den Händen weniger Reicher konzentriert. Diese unterstützen zwar teilweise eine Umverteilung zugunsten der am schlechtesten Gestellten. Aber nur im Austausch gegen deren Verzicht auf allen ihnen möglicherweise zustehenden Ansprüche auf politische Gleichheit. Bei einem solchen Kuhhandel haben auch diejenigen in der Mitte des sozioökonomischen Spektrums das Nachsehen.
Denn sie erleben die Erosion ihrer sowohl ökonomischen als auch politischen Aussichten. Danielle Allen stellt fest: „Teilweise konnte dieser Teufelspakt an Boden gewinnen, weil er durch das Differenzprinzip von John Rawls ethisch gedeckt wurde.“ Immerhin hatte John Rawls argumentiert, dass es spezifische historische Bedingungen geben könnte, unter denen es für Menschen sinnvoll ist, eine Verringerung ihrer politischen Freiheiten in Kauf zu nehmen, um ihre materielle Lage zu verbessern. Quelle: „Politische Freiheit“ von Danielle Allen
Von Hans Klumbies