Die Demokratie entspricht oft nicht dem Idealbild

Zwei Aspekte übersieht man bei einem oberflächlichen Verständnis der Demokratie gerne. Auch die Demokratie bedarf der Rechtfertigung. Diese ist von einer qualifizierten, konstitutionellen Demokratie überzeugender als von einer simplen Volksherrschaft zu erwarten. Otfried Höffe betont: „Die konstitutionelle Demokratie dürfte sogar zu den größten kulturellen Innovationen der Menschheit gehören.“ Mit den konstitutionellen Elementen kommt freilich eine Spannung in den Demokratiebegriff. Eine Rechtfertigung benötigt auch die Demokratie. Denn auch sie verzichtet nicht die Kerngrammatik des Zusammenlebens, nämlich auf ein zwangsbefugtes Recht. Deswegen hat sie einen Herrschaftscharakter, der der Rechtfertigung bedarf. Offensichtlich fällt diese leichter, wenn die Herrschaft die Betroffenen selbst ausüben. Das im Westen gelebte Votum für die Demokratie ist deshalb berechtigt. Hinsichtlich der Rechtfertigung von Herrschaft gibt es keine ernsthafte Alternative. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Politiker erfahren eine sehr geringe Wertschätzung

Als Selbstorganisation des Zusammenlebens besitzt die Demokratie einen uneinholbaren Legitimationsvorsprung. Allerdings benötigt ihre wirksame Einrichtung Voraussetzungen an Bildung und Mentalität, die mancherorts nur langfristig zu schaffen sind. Der grundsätzliche Vorsprung an Legitimation schließt allerdings nicht jede Kritik an konkreten Demokratien aus. Denn ihr Abstand zum Idealbild ist häufig allzu groß. Schon das geschwundene Interesse, sich in einer Partei politisch zu engagieren, noch mehr die gesunkene Wahlbeteiligung sind klare Indikatoren für den Erneuerungsbedarf der realen Demokratien.

In Ländern, in denen die Demokratie selbstverständlich geworden ist, nimmt die Wahlbeteiligung ab. Problematisch für die gelebte Demokratie ist auch die geringe Wertschätzung, die mittlerweile die Politiker erfahren. Selbst unter Politikern, die schon höhere Ämter erreicht haben, nimmt die Leidenschaft für Politik ab. Wird ihnen die politische Arbeit zu mühevoll, wechseln sie in lukrativere Positionen in der Wirtschaft. Otfried Höffe hegt keinen Zweifel daran, dass die Politiker für diese Entwicklung mitverantwortlich sind.

Junge Demokratien sind gegen Rückfälle aller Art nicht gefeit

Immerhin droht, um einen einzigen Hinweis zu geben, die Gefahr, dass sich die Politiker zu einer Art von politischer Klasse herausbilden. Deren Neigung zu einer Eigenmacht mit der Gefahr, sich und ihren Klientel Vorteile zu verschaffen, vernachlässigt ihre nur subsidiäre Aufgabe, die Verantwortung gegenüber den Bürgern und den Dienst am Gemeinwohl. Zumindest unterbewerten sie die Aufgabe, die vielen, zum Teil hochdiffizilen Themen ihrer Bürgerschaft hinreichend zu erklären. Vor allem junge Demokratien sind gegen Rückfälle in Autokratie, Korruption und Gewalt nicht gefeit.

Und in erfahrenen Demokratien agiert man deutlich opportunistisch, man opfert nämlich langfristige Perspektiven dem kurzfristigen Erfolg. Allerdings gibt es zu deren drei klassischen Dimensionen schwerlich eine Alternative. Dass das Volk herrscht, weil von ihm alle Gewalt ausgeht, dass die Herrschaft dem Volk dient und dass sie von ihm ausgeübt wird, besitzen einen hohen Legitimationswert. Otfried Höffe erklärt: „In der ersten Dimension tritt nämlich das Volk herrschaftskonstituierend, in der zweiten Dimension herrschaftsnormierend und in der dritten herrschaftsorganisierend auf.“ Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies