Die christlichen Traditionen leben noch

Tom Holland schildert in seinem Buch „Herrschaft“ die Geschichte des Westens, ausgehend von seinem antiken und christlichen Erbe. Dabei zeigt er, dass christliche Traditionen auch in den modernen Gesellschaften des Westens noch immer allgegenwärtig sind. Selbst dort, wo sie negiert werden: etwa im Säkularismus, Atheismus oder den Naturwissenschaften. Daneben beschreibt Tom Holland welthistorische Ereignisse und zeichnet dabei Porträts der zentralen Akteure und ihrer Gegenspieler. In seinem Buch „Herrschaft“ untersucht der Autor vor allem, wodurch das Christentum so subversiv und revolutionär wurde und wie vollständig es die Grundhaltung der lateinischen Christenheit imprägnierte. Und warum in der westlichen Welt, die häufig ein sehr kompliziertes Verhältnis zur Religion hat, so viele ihrer Instinkte nach wie vor durch und durch christlich sind. Der Autor und Journalist Tom Holland studierte in Cambridge und Oxford Geschichte und Literaturwissenschaft.

Das Christentum erfasste die ganze Welt

Tom Holland schreibt: „Wie ein Erdbeben sandte das Christentum wiederholt Resonanzen um die ganze Welt. Am Anfang war die grundlegende Revolution, die alles auslöste: die Revolution, die Paulus gepredigt hatte.“ Dann kamen die Nachbeben: im 11. Jahrhundert die Revolution, die das lateinische Christentum auf seinen erfolgreichen Kurs brachte. Es folgte die Reformation, eine im engeren Sinn kirchliche Erneuerungsbewegung von 1517 bis 1648, die zur Spaltung des westlichen Christentums in verschiedene Konfessionen führte.

Friedrich Nietzsche war es dann, der behauptete Gott sei tot. Diese Schwingungen, welche die ganze Welt erfassten, hatten alle ein identisches Merkmal. Nämlich die Behauptung, mit ihrer Umklammerung jeden anderen möglichen Ansatz, die Welt zu verstehen, mit zu umfassen. Es war ein Anspruch auf einen Universalismus, der jedoch kulturell höchst eigentümlich war. Menschen haben Rechte. Sie sind gleich geboren. Sie dürfen Lebensunterhalt und Schutz sowie Zuflucht vor Verfolgung beanspruchen.

Viele Christen waren Handlanger des Grauens

Diese Menschenrechte waren allerdings nie selbstverständliche Wahrheiten. Wie können die Werte des Christentums etwas anderes sein als der Schatten eines Leichnams? Was sind die Grundlagen seiner Moral anderes als ein Mythos? Für Tom Holland ist ein Mythos ja keine Lüge. Im tiefsten Inneren kann ein Mythos war sein. Christ sein, bedeutet zu glauben, dass Gott Mensch wurde und einen so schrecklichen Tod erduldete wie kaum ein anderer Sterblicher.

In den vergangenen zweitausend Jahren wurden viele Christen jedoch selbst Handlanger des Grauens. Als ständige Drohung lag ihr Schatten über den Schwachen. Sie verursachten Leid, Verfolgung und Sklaverei. Man verurteilte sie dafür nach christlichen Maßstäben. Und auch wenn die Kirchen im gesamten Westen immer leerer werden, sieht es nicht so aus, als würde sich an diesen Maßstäben so schnell etwas ändern. Der Mythos des Christentums bleibt dem Westen deshalb wahrscheinlich noch länger erhalten.

Herrschaft
Die Entstehung des Westens
Tom Holland
Verlag: Klett-Cotta
Gebundene Ausgabe: 619 Seiten, Auflage: 2021
ISBN: 978-3-608-12030-1, 28,00 Euro

Von Hans Klumbies