Das Leben in den USA ist von Unzufriedenheit geprägt

Turbulente Zeiten veranlassen viele Menschen, die Ideale abzurufen, nach denen sie leben. Doch im heutigen Amerika ist das nicht so einfach. Michael J. Sandel erläutert: „In einer Zeit, in der demokratische Ideale in anderen Ländern wanken, kann man sich aus gutem Grund fragen, ob wir sie zu Hause verloren haben. Unser öffentliches Leben ist von Unzufriedenheit geprägt.“ Die Amerikaner glauben nicht, dass sie bei der Art, in der sie regiert werden, viel mitzureden hätten. Außerdem trauen sie der Regierung nicht zu, dass sie das Richtige tut. Inzwischen sind die politischen Parteien unfähig, den aktuellen Verhältnissen einen Sinn zu geben. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph. Er studierte in Oxford und lehrt seit 1980 in Harvard. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.

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Viele Menschen sind von der Demokratie enttäuscht

Millionen von Menschen in aller Welt sind offenkundig unzufrieden mit ihren Demokratien. Sie wenden sich jedoch keineswegs von der Grundidee der Demokratie ab. Jan-Werner Müller weiß: „Zu den Menschen, die von der Demokratie enttäuscht sind, sie aber nicht aufgeben wollen, gehören auch viele Millennials, die man immer gern im Verdacht hat, das mit der Demokratie nicht ganz so wichtig zu nehmen.“ Das ist erst mal ein Grund zur Hoffnung. Und es ist ein deutlicher Unterschied zum 20. Jahrhundert. In der Weimarer Republik hatten beispielsweise viele Bürger das Gefühl, Institutionen wie Parlamente seien an sich diskreditiert und undemokratische Systeme böten eine Alternative für Deutschland. Leider gibt es aber auch heute eine unangenehme Wahrheit. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Die Zeit fließt dahin

Der britische Mathematiker und theoretische Physiker Roger Penrose ist für Carlo Rovelli einer der brillantesten Forscher, die sich mit Raum und Zeit befassten. Er kam zu dem Schluss, dass die relativistische Physik mit dem menschlichen Gefühl, dass die Zeit dahinfließt, keineswegs unvereinbar ist. Aber anscheinend ist das nicht genug. Er deutete an, dass das fehlende Element im Erklärungspuzzle das sein könnte, was in einer Quantenwechselwirkung geschieht. Alain Connes, ein herausragender französischer Mathematiker, fand eine treffende Möglichkeit, um die Rolle der Quantenwechselwirkung beim Ursprung der Zeit dingfest zu machen. Carlo Rovelli erklärt: „Wenn sich in einer Wechselwirkung der Ort eines Moleküls konkretisiert, verändert sich dessen Zustand. Das Gleiche gilt für seine Geschwindigkeit.“ Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Grausamkeit sollte eigentlich unmöglich sein

Die Grausamkeit gehört für Friedrich Nietzsche zur ältesten Festfreude der Menschheit. Auf der anderen Seite sollte Grausamkeit eigentlich unmöglich sein. Denn es dürfte sie nicht geben, wo es menschlich zugehen soll. Wolfgang Müller-Funk weiß jedoch auch: „Wer sich mit der systematischen Quälerei anderer Menschen, Individuen oder Gruppen, beschäftigt, droht von ihr angezogen zu werden.“ Unmöglich ist die Grausamkeit aber ebenso, weil es schwer ist, sich unvoreingenommen mit ihr zu beschäftigen. Der Schrecken vor ihr führt leicht dazu, sie zu verkennen. Die Aussage, dass Grausamkeit unmenschlich ist, geht leicht von den Lippen. Doch die Entgegensetzung von „menschlich“ und „unmenschlich“ ist fragwürdig. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.

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Die Kirche begreift die Geburt als Wunder

Es gibt kaum Literatur zum Thema Geburt. Und wenn es welche gibt, drängt man sie an den Rand „erhabener“ Wissensbestände. Emanuele Coccia stellt fest: „Dafür sind bildliche Zeugnisse im Überfluss vorhanden und haben über die Jahrhunderte die Reflexionen rund um dieses Phänomen genährt.“ Tatsächlich zählt die Nativität zu den häufigsten Motiven der europäischen Malerei. Allerdings ist der Blick der Maler durch das theologische Prisma verzerrt. Die Geburt, die sie schildern, ist kein gewöhnliches, sondern ein einmaliges, nicht darstellbares und widernatürliches Ereignis. Die christliche Theologie hat dazu beigetragen, die Geburt zu etwas Undenkbarem zu machen. Denn sie ließ sie aus jeglichem naturalistischen Rahmen heraustreten, wusste sie gegen die Natur auszuspielen und begriff sie als Wunder. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Bürokraten möchten interne Sanktionen vermeiden

„Bürokratische Verlässlichkeit setzt keine Freundschaft oder Liebe voraus. Der typische Bürokrat kennt seine Klienten nicht. Er ist aber auch nicht im ökonomischen Sinne eigeninteressiert, da es in seinem Handeln nicht um Gewinnmaximierung geht. Der Regelbruch würde sich nicht im rationalen Sinne für ihn lohnen. Martin Hartmann erklärt: „Das ist der Unterschied zwischen der ökonomischen Verlässlichkeit und der bürokratischen Verlässlichkeit.“ Im ökonomischen Kontext riskiert man die Verletzung durch den anderen. Im bürokratischen Zusammenhang erleidet man sie und kann sich gegebenenfalls auf der Basis transparenter Regeln gegen sie wehren. Entsprechend unterscheiden sich die Sanktionsmechanismen. Für Marktteilnehmer ist der Verlust der Reputation oder Marktstellung relevant als Motiv der Vermeidung unlauteren Verhaltens. Für Bürokraten geht es eher darum, interne Sanktionen zu vermeiden, oder darum, nicht als inkompetent oder vorurteilsbeladen dazustehen. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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Die Deutschen sind „Sparweltmeister“

Viele Menschen in Deutschland haben nicht nur sehr viel Vermögen angehäuft. Sie gehören auch zu denen, die Woche für Woche, Monat für Monat weltweit mit am meisten ihres Einkommens sparen. Somit bauen sie weiter zusätzliches Vermögen auf. Marcel Fratzscher weiß: „In normalen Jahren sparen alle Privatpersonen zusammen knapp zwölf Prozent ihres Einkommens. Wenn man für Abgaben und Renten korrigiert, sind dies sogar 18 Prozent.“ Damit bezeichnet man die Deutschen nicht selten als „Sparweltmeister“. Auch wenn es unter den reichen Ländern der Welt noch die Schweiz und ein paar kleine Länder gibt, die noch höhere private Sparquoten haben. Erstaunlich ist auch die Reaktion der Menschen auf die Pandemie in den ersten beiden Jahren 2020 und 2021. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Ohne Schlaf gibt es kein Leben

Die neue Sonderausgabe Nr.26 des Philosophie Magazins trägt den Titel „Der Schlaf“. Jeder Mensch schläft durchschnittlich ein Drittel seines Lebens. Das ist mehr Zeit, als man etwa mit Freunden oder der Familie verbringt. Chefredakteurin Theresa Schouwink schreibt im Editorial: „Der Schlaf, so zeigt dieses Heft“ ist das unabdingbare Andere von Bewusstsein, Vernunft und Willenskraft, die ohne Gegengewicht unerträglich und irrational werden. Der Schlaf erhält das Lebendige, lässt uns lernen und träumen.“ Gegliedert ist die Sonderausgabe in vier große Kapitel: 1. Warum sind wir so müde? 2. Wie gut einschlafen. 3. Wo bin ich, wenn ich schlafe? und 4. Was lernen wir aus unseren Träumen? Wer sich körperlich verausgabt, fällt am Ende des Tages müde ins Bett. Heute jedoch plagt viele Menschen eine andere Form der Erschöpfung. Sie haben das Gefühl des dauerhaften Ausgebranntseins.

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Politiker brauchen dringend einen besseren Umgang mit Fehlern

In ihrem Buch „Die Fehlbaren“ analysiert Helene Bubrowski das Fehlverhalten, die Skandale und Rücktritte von Politikern. Helene Bubrowski fordert: „Um das Ansehen der Politik nicht weiter zu beschädigen und Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, brauchen wir dringend einen anderen Umgang mit Fehlern.“ In der Politik fallen Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung oft auseinander. Politiker sind darauf geeicht zu erzählen, wie gut ihren die Dinge gelungen sind. Medien und Wähler sehen das selten genauso. Das öffentliche Urteil liegt meist irgendwo zwischen enttäuschend und ungenügend. Fehlentscheidungen und andere Verfehlungen sind im politischen System nicht vorgesehen, obwohl sie ein Teil davon sind. Und weil es Fehler nicht geben darf, ist der typische Reflex von Männern und Frauen in der Politik, sie zu vertuschen, abzustreiten und auszusitzen. Helene Bubrowski arbeitet als Politikkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Berliner Hauptstadtbüro.

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Die Wähler könnten mehrheitlich blöde sein

Nach jeder Wahl rühmen Politiker den Souverän ob seiner weisen Entscheidung. Das gehört sich natürlich so. Ob es den Tatsachen entspricht, ist eine andere Frage. Cora Stephan stellt fest: „Wahlkampagnen jedenfalls lassen, woraus man aus Form und Inhalt schließen kann, keine große Wertschätzung des Souveräns erkennen. Wir wissen nicht, ob der Wähler mehrheitlich blöde ist.“ Politiker indes halten ihn offenbar dafür – worin sie sich mit jenen einig wären, die deutsche Fernsehprogramme verantworten. Was aber, wenn beide recht hätten? Während man in einer behüteten Gesellschaft für vieles ein amtliches Zertifikat braucht, den Waffenschein, die Hundemarke, den Führerschein, darf man ungleich folgenschwerere Tätigkeiten völlig ungeprüft ausüben. Zum Wählen muss man lediglich 18 sein. Zum Kinderkriegen noch nicht einmal das. Dr. Cora Stephan ist Buchautorin, Kolumnistin und Essayistin.

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Das menschliche Denken ist ein Sinn

Das menschliche Denken ist ein Sinn. Markus Gabriel erläutert: „Unser Denksinn setzt uns in Kontakt mit einer Unendlichkeit an Möglichkeiten und Wirklichkeiten, den Sinnfeldern.“ Das Besondere am menschlichen Denksinn besteht darin, dass man mit einer beeindruckend hohen Auflösung die Tiefenstrukturen des Universums ausloten kann. Zudem kann man die Abgründe des Geistes, die Kunstgeschichte, Kreuzworträtsel und vieles Weitere erforschen. Das gelingt den Menschen deswegen, weil die Gegenstände des Denksinns insgesamt logisch strukturiert sind. Jeder Sinn hat spezifische Sinnesqualitäten, Qualia, die er direkt aufnimmt. Menschen hören Töne, sehen Farben, fühlen Wärme, denken Gedanken und so weiter. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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John Stuart Mill definiert die Freiheit

Eine der einflussreichsten Schriften über das, was menschliche Freiheit bedeutet und was es rechtfertigen darf, sie einzuschränken, stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der britische Denker John Stuart Mill hat sie verfasst. Er war überzeugt, dass der Nutzen im Sinne menschlicher Zufriedenheit, den eine Handlung zum Ausdruck bringt, diese Handlung als gut oder schlecht kennzeichnet. Ina Schmidt erklärt: „Wenn ein Tun Glück stiftet, Leid oder Not lindert, Freude bringt, dann kann es nicht anders als gut sein.“ Dabei handelt es sich um eine Überzeugung des utilitaristischen Denkens. Nach John Stuart Mill kann es also nur berechtigt sein, in die freie Gestaltung der menschlichen Handlungen einzugreifen, wenn es darum geht, „Schaden“ abzuwenden. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.

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Im Nordwesten Spaniens gibt es hervorragende Winzer

Der atlantische Nordwesten Spaniens ist zu einer der heißesten Regionen des Landes geworden. Zumindest was die neue Winzergeneration angelangt. Aldo Sohm und Christine Muhlke wissen: „Albariño ist besonders in der Region Rías Baixas verbreitet, wo sich die auf Granitböden stehenden Reben bis zum Atlantik hinabziehen. Die Weine zeichnen sich durch eine knackige Säure und einen herzhaften Abgang aus. Man kann das Meer förmlich schmecken.“ Die Albariños aus dem Landesinneren unterscheiden sich stark von den an der Küste angebauten. Man sollte auf die Bezeichnung „sobre lias“ achten, die auf einen längeren Kontakt mit den Hefen hinweist. Diese Albariños sind viel kraftvoller und ausdrucksstärker als die leichten Weine, die man früher im Supermarkt kaufte. Der Österreicher Aldo Sohm ist einer der renommiertesten Sommeliers der Welt, eine Legende seiner Branche. Christine Muhlke ist Redakteurin des Feinschmecker-Magazins „Bon Appétit“.

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Sokrates verführte Bürger zur Philosophie

Sokrates wendet sich nicht im Namen einer vermeintlich höheren Wahrheit von den gewöhnlichen Sterblichen und ihren Meinungen ab. Sondern er legt in den Meinungen selbst ein Wahrheitspotenzial frei. Juliane Rebentisch weiß: „Seine Mäeutik, die sokratische Hebammenkunst, zwingt die Gegenüber im Gespräch dazu, ihre Meinungen im Spiegel anderer möglicher Sichtweisen zu betrachten und so auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.“ Eben darin war Sokrates skandalös: dass er die gewöhnlichen Bürger zur Philosophie verführte. Mit dem Ergebnis, dass sich die „unbedarfte Sittlichkeit Athens“ zersetzte. So nannte Hegel das vorkritische Verhältnis der Athener zu den geltenden Gesetzen und Geboten. In seinen Augen ist das sokratische Prinzip jedoch von einem entscheidenden Mangel gekennzeichnet. Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

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Johannes Böhm untersucht die Sitten der Deutschen

Das tiefere Empfinden einer deutschen Nation begann mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit für das deutsche Volk. Das dreibändige Werk „Omnium gentium mores, leges et ritus“, das 1520 erschien, gilt als eine der ersten modernen Überblicksdarstellungen zu Völkern auf der ganzen Welt. Und es erhält die erste ernsthafte Untersuchung zu den Sitten und Gebräuchen des „vierten Standes der Deutschen“. Helmut Walser Smith weiß: „Verfasst hat dieses Opus ein Deutschordensbruder namens Johannes Böhm.“ Dabei knüpfte er an die Renaissance der klassischen Literatur des 15. Jahrhunderts an, insbesondere an Lorenzo Vallas Übersetzung von Herodot ins Lateinische. Johannes Böhm übernahm Herodots Verständnis der Völker und orientierte sich an der Neugier seines antiken Vorbilds für Dinge wie Kleidung, Ernährung und Wohnung. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Narzissten sind kraftvolle Menschen voller Widersprüche

Mitja Back schlägt in seinem neuen Buch „Ich! Die Kraft des Narzissmus“ eine Brücke zwischen dem anhaltend hohen Interesse am Narzissmus und der aktuellen Forschung. Er zeigt dabei, dass der Narzissmus neben herausfordernden Aspekten für die Mitmenschen auch positive Seiten hat. Narzissten können zum Beispiel andere Menschen begeistern und stoßen in ihrem Drang nach Anerkennung oft Innovationen und Fortschritt an. Offensichtlich tun sie Dinge, die vielen Menschen auf den ersten Blick gefallen. Mitja Back ist seit Jahren fasziniert von Narzissten. Von Menschen, die nicht „ich?“ fragen, sondern „Ich!“ in die Welt rufen. Narzissten sind kraftvolle Menschen voller Widersprüche. Sie interessieren sich scheinbar nur für sich selbst und sind doch auf andere angewiesen. Denn: Ohne Publikum und Applaus keine Bewunderung. Mitja Back ist seit 2012 Professor für Psychologische Diagnostik und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Münster.

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Silvio Vietta kennt den Wert der Demokratie

Silvio Vietta kann im Rückblick auf die Geschichte der Demokratie viele Argumente für sie ausfindig machen. Erstens: Die Demokratie entsteht mit der Ersten Aufklärung in der Antike als eine Art Entmythisierung der Vorstellung, die Götter oder ein Gott lenke die Geschichte. Der Mensch als Gattungswesen muss daher selbst „erwachsen“ werden, und seine Politik wie Geschichte selbst verantworten. Silvio Vietta stellt fest: „Demokratie bedeutet in diesem Sinne einen Reifungsprozess der ganzen Menschheit.“ Zweitens: Schon Perikles in der antiken Demokratie stellt diese selbst in den Zusammenhang einer Mündigwerdung der demokratischen Polis und auch des einzelnen Bürgers. Dieser muss ja nun die Verantwortung für seine Geschicke selbst in die Hand nehmen und sollte daher kulturell gebildet, gut informiert und persönlich gereift sein. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Selbstgewählte Identitäten bergen Gefahren in sich

Amartya Sen betont die Bedeutung der wohlüberlegten Entscheidung für selbstgewählte Identitäten. Nämlich um die Zuschreibung ausschließlicher Identitäten abzuwehren. Und so zu verhindern, dass Menschen sich für Kampagnen mobilisieren lassen, in man gebrandmarkte Opfer terrorisiert. Viele Greueltaten auf der Welt gehen auf Kampagnen zurück, in denen man selbstgewählte Identitäten gegen zugeschriebene austauschte. So verwandelten sich alte Freude in Feinde und widerliche Sektierer schwangen sich zu mächtigen politischen Führern auf. Amartya Sen erläutert: „Es ist daher eine anstrengende und äußerst wichtige Aufgabe, im identitätsbezogenen Denken den Elementen der Vernunft und der freien Wahl Geltung zu verschaffen.“ Denn ist gibt tatsächlich Alternativen zwischen denen Menschen wählen können. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Universalgelehrte wollen das Wissen vereinheitlichen

Was veranlasste Gelehrte früherer Zeiten, derart viele unterschiedliche Themen zu studieren? Im Falle Conrad Gessners mag es schlicht und einfach eine füchsische Neugier gewesen zu sein. Davon abgesehen dürften seine leidenschaftliche Ordnungsliebe und sein Bedürfnis, die „Unordnung der Bücher“ zu beseitigen, fraglos eine gewissen Rolle gespielt haben. Peter Burke fügt hinzu: „Bei anderen Universalgelehrten, den „Igeln“ war das Hauptziel die Vereinheitlichung des Wissens.“ Pico della Mirandola zum Beispiel bietet das eindeutige Beispiel eines Universalgelehrten, der vom Wunsch getrieben ist, widerstreitende Ideen – etwa die von Platon und Aristoteles – in Einklang zu bringen. Sechzehn Jahre lehrte Peter Burke an der School of European Studies der University of Sussex. Im Jahr 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte nach Cambridge ans Emmanuel College.

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Nachhaltigkeit ist ein umfassendes Konzept

Das neue Denken über die Nachhaltigkeit ist unzureichend. Katia Henriette Bachhaus erläutert: „Darüber nachzudenken, wie die Welt und ihre Menschen nachhaltiger werden könnten, ist zu wenig für das, was Nachhaltigkeit verlangt. Denn das Konzept der Nachhaltigkeit ist so sehr ein theoretisches wie ein praktisches. Und nachhaltige Praxis reicht von politischer Gesetzgebung bis in den individuellen Alltag hinein.“ Die Bedeutung der praktischen Seite der Nachhaltigkeit wird jedoch von politiktheoretischen und umweltethischen Ansätzen zuweilen vernachlässigt. Manche Autoren sprechen von einer regelrechten Lücke zwischen der Theorie ökologischer Werte und einer ökologischen Handlungstheorie. Doch das praktische Veränderungen aus theoretischer Überzeugung geschehen, ist eine zu große Hoffnung. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Jede Meinung ist zunächst zu gut wie jede andere

Die Idee einer parlamentarischen Demokratie ist darauf angelegt, durch Debatten einen Konsens zu erzeugen, der vorher nicht bestand. In den Konsens sollen, wie bei einem Kompromiss, verschiedene Perspektiven mit einfließen. Damit soll sichergestellt werden, dass möglichst viele Bevölkerungsgruppen, in die sich die Wählerschaft einteilt, repräsentiert sind. Markus Gabriel erklärt: „Im Raum der freien Meinungsäußerung ist somit zunächst einmal jede Meinung so gut wie jede andere.“ Ob sie auch wahr ist, spielt scheinbar keine Rolle. Deshalb führt diese Vorstellung dazu, dass man den Wert der Wahrheit in ethisch dringlichen und schwierigen Fragen durch Strategien der Kompromisslösung ersetzt. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Freiheit und Gleichheit gehören zu den Grundrechten

Immanuel Kants kleine Schrift „Zum ewigen Frieden“ hat spätestens mit der durch sie angeregten Gründung des Völkerbunds 1919 einen weltpolitischen Rang erhalten. In ihr werden im ersten Definitionsartikel, der die Staaten auf eine republikanische Verfassung verpflichtet, drei Prinzipien genannt. Diese seien unbedingt zu beachten. Volker Gerhardt stellt fest: „Zwei der Prinzipien, nämlich die Freiheit und die Gleichheit der Bürger, sind uns aus den Grundrechtskatalogen bekannt.“ Aber das zwischen ihnen stehende dritte Prinzip der Abhängigkeit aller Bürger „von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung“ ist erklärungsbedürftig. Denn in einer offenen Welt, in der man seinen Wohnort selbst bestimmen kann, wirkt die Bindung an die Gesetzgebung eines einzigen Staates befremdlich. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Der Mensch muss sich von der Herde abkehren

Michel de Montaigne entdeckte eine Generation nach Martin Luther seine Einzelheit und gewann Abstand zu sich und den anderen. Dabei fühlte er sich nicht wie Luther der Majestät eines Gottes ausgeliefert, sondern der obskuren Majestät der Menge. In seinem Essay „Über die Einsamkeit“ heißt es: „Daher ist es nicht genug, sich von der Herde abgekehrt zu haben, es ist nicht genug den Ort zu wechseln. Vom Herdentrieb in unserem Inneren müssen wir uns abkehren, zukehren aber dem eigenen Selbst, um es wieder in Besitz zu nehmen.“ Rüdiger Safranski erläutert: „Für Luther ist das eigene Selbst vollkommen korrumpiert von der Sünde.“ Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

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Die Gelassenheit führt zu einem glücklichen Leben

Gerhard Gleißner behauptet in seinem neuen Buch „Gesund leben mit dem Stoizismus“, dass jeder, der den Stoizismus praktiziert, mit großer Wahrscheinlichkeit seelisch gesund bleibt. Ebenso ist die Aussicht geringer, körperlich zu erkranken und die Chance höher als Kranker leichter wieder zu gesunden. Zugleich zeigt und beweist der Autor, dass der Stoizismus tatsächlich eine der effektivsten Methoden darstellt, die eigene Gesundheit günstig zu beeinflussen. Gerhard Gleißner schreibt: „Die Gelassenheit oder stoische Seelenruhe (altgriechisch „ataraxia“) ist das eigentliche Ziel allen stoischen Bemühens, sie führt uns zum glücklichen Leben.“ Die „ataraxia“ ist der Lohn dafür, wenn man es schafft, das Schicksal zu akzeptieren. Wem es gelingt, alles, was kommt, gelassen zu ertragen, ist ein guter Stoiker. Dr. med. Gerhard Gleißner ist seit 2014 als Amtsarzt und Gutachter im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig.

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Künstliche Intelligenz beeinflusst das Leben grundlegend

Das Titelthema des Philosophie Magazins 06/2023 beschäftigt sich mit den Chancen und Gefahren der künstlichen Intelligenz. Denn spätestens seit der Veröffentlichung der Sprachsoftware ChatGPT des Unternehmens OpenAI im November vergangenen Jahres nämlich ist klar, dass es eine Zeit vor und eine nach der breitenwirksamen Anwendung künstlicher Intelligenz gibt. Dominik Erhard, der die Redaktionsleitung Online des Philosophie Magazins innehat, erklärt: „Künstliche Intelligenz, das meint an dieser Stelle Maschinen und Software, die zu menschenähnlichen Intelligenzleistungen fähig sind. Dies kann beinhalten, dass sie lernen, schlussfolgern, Probleme lösen, sich an Umweltbedingungen anpassen oder Aufgaben der Sprach- und Bilderkennung durchführen.“ Und so scheint die Frage, ob künstliche Intelligenz (KI) heutiges und künftiges Leben auf der Erde grundlegend beeinflusst, überflüssig, weil man sie eindeutig mit Ja beantworten kann.

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