Die Wähler könnten mehrheitlich blöde sein

Nach jeder Wahl rühmen Politiker den Souverän ob seiner weisen Entscheidung. Das gehört sich natürlich so. Ob es den Tatsachen entspricht, ist eine andere Frage. Cora Stephan stellt fest: „Wahlkampagnen jedenfalls lassen, woraus man aus Form und Inhalt schließen kann, keine große Wertschätzung des Souveräns erkennen. Wir wissen nicht, ob der Wähler mehrheitlich blöde ist.“ Politiker indes halten ihn offenbar dafür – worin sie sich mit jenen einig wären, die deutsche Fernsehprogramme verantworten. Was aber, wenn beide recht hätten? Während man in einer behüteten Gesellschaft für vieles ein amtliches Zertifikat braucht, den Waffenschein, die Hundemarke, den Führerschein, darf man ungleich folgenschwerere Tätigkeiten völlig ungeprüft ausüben. Zum Wählen muss man lediglich 18 sein. Zum Kinderkriegen noch nicht einmal das. Dr. Cora Stephan ist Buchautorin, Kolumnistin und Essayistin.

Der mündige Bürger ist nur eine Illusion

Dennoch schwärmt alle Welt vom mündigen Bürger, aufgeklärt bis ins letzte Glied, vom Souverän, dessen Entscheidung sich in heiliger Stille und reinen Gedankens vollzieht. Schöne Idee. Doch selbst der vom Glauben an die Demokratie beseelte Idealbürger dürfte schon man, unversehens in Bahnhof, Park oder Fußgängerzone geraten, die Augen erstaunt aufgerissen haben: Da sind sie also! Sie alle dürfen wählen und sich vermehren! Cora Stephan nennt Beispiele: „Die Cognac-Cola-Trinker, die Trainingshosenträger, die Gröler, Glotzer, Analphabeten, die Tiefergelegten, die Pizza-und-Pommes-Esser.“

Und dann wählen sie auch noch notorisch das Falsche – siehe Österreich. Oder Italien. Und wie war das noch mit Adolf Hitler, dem Freund aller Schäferhunde? Solche Gedanken beschämen den Wohlmeinenden, kaum sind sie unerbeten aufgetaucht. Bis – ja, bis das nächste Wahlplakat den Blick kreuzt, und er erkennen muss, dass er nicht allein ist mit dieser wenig schönen Einschätzung des Souveräns. Während des Wahlkampfes – und der ist ja dauernd – treten Parteien und Politiker just so auf, als wendeten sie sich an Menschen, die glauben, was sie im Fernsehen sehen.

Politiker müssen mit der Spaßgesellschaft mithalten können

Diese Menschen haben zudem nur eine Aufmerksamkeitsspanne von 15 Sekunden und ihre Weitsicht reicht höchstens bis zum nächsten Ballermannurlaub. Cora Stephan weiß: „Was Wunder – auch Politiker brauchen Quote, sprich Mehrheiten. Und dafür muss man mithalten können mit der Spaßgesellschaft – Spiele – und oft genug mit dem Portemonnaie winken – Brot.“ So gelingen natürlich keine „Jahrhundertreformen“. Und jeder Reformeifer erlahmt, bringt jemand da böse P-Wort ins Spiel: Politikverdrossenheit.

Was tun gegen den Verdruss? Endlich einmal politische Entscheidungen treffen? Pustekuchen. Bequemer ist der Glaube, dass gegen Politikverdrossenheit nicht bessere Arbeit der Politiker, sondern die Mehrarbeit der Wähler helfe, was man hierzulande „mehr Demokratie“ nennt. Cora Stephan erläutert: „Neue Wahlmöglichkeiten, andere Beteiligungsformen – so stellen sich Politiker und Meinungshabende die stärkere „Einbindung“ des Wählers vor.“ Quelle: „Die Macht der Quote und die Grenzen der Demokratie“ von Cora Stephan in „Der Geist im Gebirge“ von Konrad Paul Liessmann (Hg.)

Von Hans Klumbies