Künstliche Intelligenz beeinflusst das Leben grundlegend

Das Titelthema des Philosophie Magazins 06/2023 beschäftigt sich mit den Chancen und Gefahren der künstlichen Intelligenz. Denn spätestens seit der Veröffentlichung der Sprachsoftware ChatGPT des Unternehmens OpenAI im November vergangenen Jahres nämlich ist klar, dass es eine Zeit vor und eine nach der breitenwirksamen Anwendung künstlicher Intelligenz gibt. Dominik Erhard, der die Redaktionsleitung Online des Philosophie Magazins innehat, erklärt: „Künstliche Intelligenz, das meint an dieser Stelle Maschinen und Software, die zu menschenähnlichen Intelligenzleistungen fähig sind. Dies kann beinhalten, dass sie lernen, schlussfolgern, Probleme lösen, sich an Umweltbedingungen anpassen oder Aufgaben der Sprach- und Bilderkennung durchführen.“ Und so scheint die Frage, ob künstliche Intelligenz (KI) heutiges und künftiges Leben auf der Erde grundlegend beeinflusst, überflüssig, weil man sie eindeutig mit Ja beantworten kann.

Für Annie Ernaux sind Schreiben und Sex die wichtigsten Dinge im Leben

Für die Essayistin Meghan O’Gieblyn besteht kein Grund zu der Annahme, dass eine aus Silizium und statistischen Sprachmustern hervorgebrachte Intelligenz einer Intelligenz gleichen wird, die sich über Millionen von Jahren unter biologischen Bedingungen entwickelt hat. Sprachmodelle sind ihrer Meinung nach wie die Gefangenen in Platons Höhlengleichnis, die versuchen, sich Begriffe der wirklichen Welt aus dem trügerischen Schattenspiel der Sprache herzuleiten. Meghan O’Gieblyn betont: „KI steckt nicht nur in einer Höhle, sondern diese Höhle ist auch noch eine Blackbox.“

Die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux sagt im Gespräch mit dem Philosophie Magazin: „Für mich sind Schreiben und Sex die beiden wichtigsten Dinge im Leben. Dennoch stelle ich sie nicht auf die gleiche Ebene, weil es sich um gegensätzliche Dinge handelt.“ In ihrem Buch „Eine vollkommene Leidenschaft“ (1991), geht es darum, sich zu verlieren, jemandem komplett verfallen zu sein. Sie selbst hat das Begehren oft in eine abhängige Position gebracht. Annie Ernaux bereut das nicht, aber diese Abhängigkeit ist mit dem Akt des Schreibens grundsätzlich unvereinbar.

Die Welt eines Gefolterten ist eine der Angst und des Misstrauens

Zu den Olymp der Klassiker hat das Philosophie Magazin diesmal Jean Améry aufgenommen. Als Folteropfer und Überlebender des Vernichtungslagers Auschwitz zeigt er, die Ausgrenzung und Gewalt die Überwältigten versehren. In seinem Essay „Die Tortur“ schreibt Jean Améry: „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt.“ Die Welt eines Gefolterten ist eine der Angst und des Misstrauens. Und doch muss der Gemarterte die Möglichkeit ergreifen, als freies Subjekt in die Zukunft aufzubrechen.

Das Buch des Monats heißt „Wie man Mensch wird“ von Sarah Bakewell. Die Autorin hat eine Geschichte des Humanismus geschrieben, die einlädt, über die Ideale der Gegenwart nachzudenken. Den Humanisten ging es unter anderem darum: Das Jenseits sollte seinen Schrecken verlieren, das Hier und Jetzt zur maßgeblichen Instanz werden. Montaigne, Voltaire, Diderot und Bertrand Russell und viele andere bedeutende Denker haben die humanistischen Ideen von Universalität, Diversität, Freiheit und kritischem Bewusstsein entscheidend geprägt. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner lautet: freies Denken, Hoffnung, Forschung.

Von Hans Klumbies