Viele Menschen sind von der Demokratie enttäuscht

Millionen von Menschen in aller Welt sind offenkundig unzufrieden mit ihren Demokratien. Sie wenden sich jedoch keineswegs von der Grundidee der Demokratie ab. Jan-Werner Müller weiß: „Zu den Menschen, die von der Demokratie enttäuscht sind, sie aber nicht aufgeben wollen, gehören auch viele Millennials, die man immer gern im Verdacht hat, das mit der Demokratie nicht ganz so wichtig zu nehmen.“ Das ist erst mal ein Grund zur Hoffnung. Und es ist ein deutlicher Unterschied zum 20. Jahrhundert. In der Weimarer Republik hatten beispielsweise viele Bürger das Gefühl, Institutionen wie Parlamente seien an sich diskreditiert und undemokratische Systeme böten eine Alternative für Deutschland. Leider gibt es aber auch heute eine unangenehme Wahrheit. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

Die Demokratie basiert auf Gleichheit und Freiheit

Nicht alle Wähler, die autoritäre Politiker unterstützen, lassen sich systematisch täuschen. Manche von ihnen sind durchaus bereit, demokratiezersetzende Reden und Handeln um parteilicher oder auch ganz persönlicher Interessen willen hinzunehmen. Tragisch ist, dass jeder seine Gründe dafür haben dürfte. Und doch gilt auch: Was Politik geschaffen hat, kann Politik auch wieder ändern. Polarisierung und Tribalismus sind keine bedauernswerten Gegebenheiten der menschlichen Natur.

Sondern sie sind kontingente Ergebnisse der Darstellung und Austragung von Konflikten. Das ist ein weiterer Grund zur Hoffnung. Jan-Werner Müller stellt fest: „Die Demokratie basiert auf Gleichheit und Freiheit. Diese beiden Prinzipien stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Freiheit kann – insbesondere in Verbindung mit ungleichen Ressourcen – politische Ungleichheit verfestigen oder stetig vergrößern.“ Nur: Ohne Freiheit gibt es wiederum keine Möglichkeit, etwas gegen Formen der Ungleichheit zu unternehmen. Demokratie bedeutet gleiche Rechte, ebenso wie gleichen Respekt.

In freien Gesellschaften sind Konflikte unvermeidlich

Die Demokratie zeichnet sich durch ein Gemeinschaftsleben aus, in dem die Menschen das Gefühl haben, einander auf Augenhöhe zu begegnen, ohne die Unterwürfigkeit oder gar pure Angst, die für Feudal- oder rassistische Kastengesellschaften typisch sind. Respekt heißt aber keineswegs, dass man stets einer Ansicht wäre. Es ist sehr wohl möglich, tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten zu haben, ohne deshalb den Respekt für andere zu verlieren. Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist prinzipieller Art. Aber auch Auseinandersetzungen, in denen Prinzipielles auf dem Spiel steht, bedeuten nicht, dass man den Kontrahenten den Status als freier und gleicher Bürger absprechen muss.

Jan-Werner Müller betont: „In freien Gesellschaften sind Konflikte unvermeidlich; die Frage ist, wie sie definiert und ausgetragen werden. Es gibt auch keine Demokratie ohne Verlierer; die Frage ist, ob das Spiel so beschaffen ist, dass man sich darin abwechselt, Opfer für den Zusammenhalt des Gemeinwesens zu bringen.“ Das fällt dann leichter, wenn es plausibel erscheint, dass auch der politische Gegner unter Umständen einmal Recht hat. Es fällt gleichsam leichter, wenn es plausibel erscheint, dass man selbst vielleicht einmal die Position einnehmen wird, in der sich der politische Gegner gerade befindet. Quelle: „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“ von Jan-Werner Müller

Von Hans Klumbies