Freiheit und Gleichheit gehören zu den Grundrechten

Immanuel Kants kleine Schrift „Zum ewigen Frieden“ hat spätestens mit der durch sie angeregten Gründung des Völkerbunds 1919 einen weltpolitischen Rang erhalten. In ihr werden im ersten Definitionsartikel, der die Staaten auf eine republikanische Verfassung verpflichtet, drei Prinzipien genannt. Diese seien unbedingt zu beachten. Volker Gerhardt stellt fest: „Zwei der Prinzipien, nämlich die Freiheit und die Gleichheit der Bürger, sind uns aus den Grundrechtskatalogen bekannt.“ Aber das zwischen ihnen stehende dritte Prinzip der Abhängigkeit aller Bürger „von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung“ ist erklärungsbedürftig. Denn in einer offenen Welt, in der man seinen Wohnort selbst bestimmen kann, wirkt die Bindung an die Gesetzgebung eines einzigen Staates befremdlich. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Die Politik untersteht dem Gebot der Öffentlichkeit

Gleichwohl ist sie notwendig, weil sich sonst jeder Bürger dem Recht durch den Wechsel seines Aufenthaltsorts entziehen könnte. Volker Gerhardt ergänzt: „Damit könnte mit Leichtigkeit, wann immer ein Bürger es darauf anlegt, Rechtlosigkeit hergestellt werden. Droht ihm Strafe, kann er das Land verlassen und straffrei bleiben.“ Das Prinzip der Abhängigkeit einer gemeinsamen Gesetzgebung soll also sicherstellen, dass sich keiner dem Re hat entzieht. Immanuel Kant hat mit dem Prinzip der Abhängigkeit keine Zwangsbürgerschaft im Blick. Das steht schon durch die Gleichrangigkeit mit der Freiheit und Gleichheit außer Zweifel.

Überdies gilt das Gebot der Öffentlichkeit, dem alle Politik untersteht. Also kann jeder seinen Wohnsitz wählen, wo immer ihm dies durch die Gesetze des Staates seiner Wahl erlaubt ist. Sobald er aber hier als Bürger anerkannt ist, haben die Gesetze des neuen Landes ihre unverbrüchliche Gültigkeit. Dann ist er nicht nur ihnen unterworfen, sondern er teilt auch das Schicksal seines Landes, solange er ihm zugehört. Um das von Immanuel Kant im Prinzip der Abhängigkeit exponierte Problem geht es auch in Platons „Kriton“.

Für Sokrates ist die Freiheit des Einzelnen zentral

Es geht darin um die Weigerung des Sokrates, nach dem gegen ihn ergangenen Todesurteil die bereits durch seine Freunde vorbereitete Flucht aus dem Gefängnis zu ergreifen. Volker Gerhardt weiß: „Auch für Sokrates ist die Freiheit des Einzelnen zentral. Schon seine Eltern haben sich aus freiem Entschluss für ein Leben in Athen entschieden. Und er hätte jederzeit gehen können, wenn er es gewollt hätte.“ Aber er ist geblieben, und ist in Athen zu dem geworden, den man unter seinem Namen kennt.

So ist Athen sein Schicksal geworden, was sich insbesondere in seinem Ende zeigt. Als man ihn anklagte, hat sich Sokrates dem Gericht gestellt und hat nicht zu fliehen versucht. Nun aber, da er verurteilt ist, kann er sich den Gesetzen, deren Schutz er ein Leben lang vertraut hat, nicht plötzlich entziehen. Weder als gesetzestreuer Bürger noch als Philosoph, der Wert darauf legt, nicht in Widerspruch zu sich selbst zu geraten. Andernfalls würde er seine auf individuelle Konsequenz gegründete philosophische Lehre nachträglich zu Nichts machen. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies