Die Zeit fließt dahin

Der britische Mathematiker und theoretische Physiker Roger Penrose ist für Carlo Rovelli einer der brillantesten Forscher, die sich mit Raum und Zeit befassten. Er kam zu dem Schluss, dass die relativistische Physik mit dem menschlichen Gefühl, dass die Zeit dahinfließt, keineswegs unvereinbar ist. Aber anscheinend ist das nicht genug. Er deutete an, dass das fehlende Element im Erklärungspuzzle das sein könnte, was in einer Quantenwechselwirkung geschieht. Alain Connes, ein herausragender französischer Mathematiker, fand eine treffende Möglichkeit, um die Rolle der Quantenwechselwirkung beim Ursprung der Zeit dingfest zu machen. Carlo Rovelli erklärt: „Wenn sich in einer Wechselwirkung der Ort eines Moleküls konkretisiert, verändert sich dessen Zustand. Das Gleiche gilt für seine Geschwindigkeit.“ Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

Geschwindigkeit und Ort bestimmen die Zeitlichkeit

Wenn erst die Geschwindigkeit und dann der Ort festgelegt werden, verändert sich der Zustand des Moleküls auf andere Art, als wenn beide Ereignisse in umgekehrter Reihenfolge stattfänden. Die Reihenfolge zählt. Diese „Nicht-Kommutativität“ der Quantenvariablen heißt deshalb so, weil Ort und Geschwindigkeit nicht vertauschbar sind. Sie können also nicht ungestraft ihre Plätze in einem Prozess wechseln. Die Nicht-Kommutativität ist eines der charakteristischen Phänomene der Quantenmechanik.

Sie bestimmt eine Reihenfolge und damit einen Keim von Zeitlichkeit bei der Bestimmung zweier physikalischer Variablen. Carlo Rovelli weiß: „Eine Variable zu bestimmen, ist keine harmlose Operation, sondern eine Wechselwirkung. Die Auswirkung solcher Wechselwirkungen hängt von der Reihenfolge ab, und diese ist eine primitive Form zeitlicher Ordnung.“ Vielleicht ist gerade diese Tatsache ein Ursprung der zeitlichen Ordnung der Welt. Dieser faszinierende Gedanke stammt von Alain Connes: „Der erste Keim der Zeitlichkeit in den elementaren Quantenübergängen liegt darin, dass diese auf natürliche Weise (teilweise) geordnet sind.“

Quantensysteme entfalten eine definierten Fluss

Alain Connes lieferte eine raffinierte mathematische Version dieses Gedankens. Er zeigte, dass man den Zeitfluss implizit von der Nicht-Kommutativität der physikalischen Variablen definieren kann. Wegen dieser definiert die Gesamtheit der physikalischen Variablen ein System einer mathematischen Struktur. Nämlich die sogenannte nicht kommutative Von-Neumann-Algebra. Und Alain Connes zeigte, dass deren Strukturen einen implizit definierten Fluss entfalten.

Überraschenderweise besteht zwischen diesem Fluss, den Alain Connes für die Quantensysteme definierte, und der thermodynamischen Zeit eine ganz enge Beziehung. Alain Connes zeigte, dass in einem Quantensystem die Wärmeflüsse, die sich von den verschiedenen makroskopischen Zuständen bestimmen lassen, gleichwertig sind. Einfacher gesagt: Die von den makroskopischen Zuständen bestimmte Zeit und die Zeit, die von der Nicht-Kommutativität der Quantenvariablen bestimmt wird, sind Aspekte desselben Phänomens. Diese thermodynamische und quantisierte Zeit, so glaubt Carlo Rovelli, ist diejenige Variable, die man im realen Universum „Zeit“ nennt. Quelle: „Die Ordnung der Zeit“ von Carlo Rovelli

Von Hans Klumbies